Ballade der Leidenschaft
Nachmittag ging Mikaela zur Isle du Château, um Rozenn abzuholen. Wie immer, wenn sie das Burggelände betrat, trug sie einen Schleier.
Geradewegs steuerte sie das Sonnengemach an, wo die Gräfin, der Näharbeit müde, Rozenn nur zu gern entließ.
Es war Freitag, der Tag der Fischer. Seit Pers Tod begleitete Rozenn ihre Freundin jeden Freitag zum Fischmarkt, der in Basseville am Hafen abgehalten wurde. Dort half sie ihr, Fische für die Taverne auszusuchen und in Antons Karren zu laden. Zum Dank schickte Mikaela ihr eine der frischen Speisen, etwa gebackenen Karpfen oder Muscheln in Weißwein.
Nachdem sie die Burg verlassen hatten, wanderten sie durch sonnenhelle Straßen in Richtung Pont du Port, der Brücke, die zum Hafen führte. Graf Remonds Soldaten hielten Wache vor dem Tor, das auf diese Brücke führte.
Eine Hüfte an das hölzerne Brückengeländer gelehnt, leistete Ben den Wachtposten Gesellschaft. Windstöße zerzausten sein dunkles Haar. Offenbar unterhielt er sich angeregt mit Denez, dem Hauptmann der Wache. Rozenn glaubte, ihren Namen zu vernehmen. In diesem Moment bemerkte Ben ihre Gegenwart und verwandelte die Erwähnung ihres Namens so geschickt in einen Gruß, dass sie sich fragte, ob sie sich nur etwas eingebildet hatte. „Ah, guten Tag, Rozenn!“ Seine Augen schienen zu lachen, als er sie mit einer Verbeugung beehrte, die einer Herzogin würdig gewesen wäre. „Und Mademoiselle Mikaela.“
„Sei gegrüßt, Ben“, antwortete Mikaela lächelnd. „Hältst du die Wachtposten von ihren Pflichten ab?“
„Natürlich“, scherzte er und lehnte sich wieder an das Geländer. Rozenn konnte den Blick nicht von seinen Lippen wenden, und sie sah, wie seine Mundwinkel nach oben zuckten. Errötend schaute sie in seine Augen, schüttelte den Kopf und wollte an ihm vorbeigehen. Hatte er tatsächlich über sie gesprochen? Nein, sie musste sich irren – warum sollte er mit Denez über sie reden?
Ben hob eine Hand, um sie zurückzuhalten. „Wollt ihr ein paar Deniers verdienen, Rozenn? Mikaela?“
„Und wie?“, fragte Mikaela.
„Ich schlage einen Wettkampf vor. Schwimmen gegen Laufen.“
Schweigend starrte Rozenn ihn an. Sie konnte nicht schwimmen. Ihr Leben lang hatte sie sich vor dem Wasser gefürchtet. Aber Ben schwamm wie ein Fisch, das wusste sie. Er zeigte zum Anlegesteg am anderen Flussufer. „Da kann ich in der Zeit hin- und wieder zurückschwimmen, die Jerome braucht, um zur Kirche St Michael in Hauteville hinauf- und wieder herunterzulaufen. Sollen wir wetten?“
„Du hältst uns wohl für Narren, Ben“, schnaufte Hauptmann Denez verächtlich. „Aber wir kennen dich gut genug. Sicher würdest du uns übers Ohr hauen. Von hier aus können wir den Anlegesteg nicht deutlich sehen, da könntest du später einfach behaupten, du hättest ihn erreicht.“
„Was – ich, ein Betrüger?“ Ben warf sich in die Brust, und seine Miene kündete von verletztem Stolz. Dass er nichts dergleichen empfand, wusste Rozenn. Stattdessen zog er Graf Remonds Wachtposten nur auf und amüsierte sich ebenso wie die Soldaten. „Als wäre ich jemals dazu fähig …“ Er zwinkerte Mikaela zu, die auf reizvolle Weise errötete und perlend lachte. „Falls Ihr mir trotzdem nicht glaubt, habe ich einen Vorschlag. Einer Eurer Männer geht zum Anlegesteg und erwartet mich. Wollt Ihr mein Zeuge sein, Jafrez?“
Denez rieb sich das Kinn. „Selbstverständlich müsst Ihr den Steg berühren.“
„Dort habe ich ein paar Aalfallen gelegt“, mischte sich Mikaela ein, und Ben schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln.
„Würdest du danach sehen, chérie ? Dann wärst du meine Zeugin, da diese misstrauischen Schwachköpfe mein Wort nicht für bare Münze nehmen wollen. Dir werden sie glauben. Habe ich recht, Denez?“
„Oh ja.“
„Eigentlich dachte ich, wir würden zum Fischmarkt gehen“, wandte Rozenn ein. Ihre Stimme klang ärgerlicher als beabsichtigt.
„Auch Aale sind Fische.“ Lässig zuckte Mikaela mit den Schultern. „Wenn ich welche gefangen habe, kann ich sie räuchern, oder ich mache eine Pastete.“ Dann warf sie Ben einen koketten Blick zu, den Rozenn eher Lady Alis zugetraut hätte. Ausgerechnet meine Freundin, dachte sie.
Energisch bekämpfte sie ihren Zorn. Wenn Ben mit Lady Alis schäkerte, die es besser wissen müsste, war das eine Sache, aber Mikaela zu ermutigen, eine ganz andere. Sie war jung und unerfahren. Deshalb konnte sie vielleicht nicht erkennen, dass lächeln und flirten nur
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