Ballade der Leidenschaft
Ufer des Flusses balancierte er wie ein Seiltänzer auf dem Brückengeländer, von strahlenden Gesichtern beobachtet. Gelächter wehte zu ihnen herüber, und Rozenns Missmut verflog. Nein, sie durfte keine Spielverderberin sein. Was Ben tat, war seine raison d’être , seine Daseinsberechtigung. Welch eine Freundin wäre sie, könnte sie das nicht akzeptieren? Und da er, im Gegensatz zu ihr, das Wasser nicht fürchtete, würde er wohl kaum ertrinken.
Manchmal fällt es mir nur schwer, ihn ständig den Narren mimen zu sehen – und ich will ihn nicht mit all diesen anderen Menschen teilen …
Erschrocken über diese besitzergreifenden Gedanken zog sie die Brauen zusammen. Um alles in der Welt, was war in sie gefahren?
„Oh nein“, hauchte sie, als Ben seinen Gürtel öffnete und einem Wächter zuwarf. Im hellen Sonnenlicht funkelte die Silberschnalle.
„Was gibt’s denn?“, fragte Mikaela atemlos.
Rozenn schluckte. „Jetzt – jetzt zieht er seine Tunika aus.“
„Natürlich. So eine schöne Tunika! Es wäre doch eine Schande, wenn er sie im Fluss ruinieren würde. Hast du sie genäht?“
„Nein.“
Mikaela blinzelte wieder zu der Gruppe auf der Brücke hinüber. „Könnte ich bloß genauer sehen, was dort vorgeht …“
Rozenn murmelte eine nichtssagende Antwort und musterte die schlanke geschmeidige Gestalt auf dem Geländer. Achtlos warf Ben die grüne Tunika beiseite und ließ ihr die chainse aus weißem Leinen folgen. Dieses Hemd hatte sie genäht, vor einigen Jahren. Dass er es immer noch trug, fand sie rührend.
Plötzlich brachen die Wachtposten in gellendes Jubelgeschrei aus, und sie räusperte sich. Obwohl die Brücke mindestens hundert Yards entfernt war, beschleunigte der Anblick von Bens nacktem Rücken ihren Herzschlag. Warum, konnte sie sich nicht erklären – schon gar nicht, weil sie seinen unbekleideten Rücken in der Kindheit oft genug gesehen hatte. Erst heute Morgen, auf der Pritsche, entsann sie sich.
In ihre Wangen stieg brennende Röte, und sie war unfähig, den Blick von diesen muskulösen Schultern anzuwenden, von den runden Hinterbacken … Zum Glück behielt er seine Hose an.
Während er auf einem Bein hüpfte – wieso verlor er auf dem schmalen Geländer nicht sein Gleichgewicht? –, schlüpfte er aus einem Stiefel und warf ihn einem Wachmann zu, dicht gefolgt vom zweiten. Zu Rozenns Erleichterung traf er noch immer keine Anstalten, sein enges Beinkleid abzulegen.
Von einem halben Dutzend Soldatenkehlen wurde heruntergezählt. „Zehn – neun – acht …“
„Auf die Plätze!“, schrie Mikaela, riss den Schleier von ihrem Kopf und schwenkte ihn durch die Luft. „Fertig!“ Begeistert hüpfte sie auf und ab und ließ den ganzen Steg wackeln. „Los!“
Ben drehte sich grinsend zu ihnen um und sprang in den Fluss. Er erzeugte kaum Wellen, als er eintauchte.
Im selben Moment stürmte Jerome vom Pont du Port aus los zur Gasse, die nach Hauteville hinaufführte. Bald verschwand er hinter den Häusern.
Bens dunkles Haar erschien an der Oberfläche, glatt wie der Kopf eines Otters. Mit kraftvollen Zügen durchpflügte er das Wasser, so wie Rozenn es aus früheren Jahren kannte.
„Auf dem Hinweg ist es einfacher, weil er mit der Strömung schwimmt“, erklärte Mikaela. „Der Rückweg wird ihm schwererfallen.“
Geistesabwesend nickte Rozenn, hielt den Atem an und hoffte verzweifelt, sie würde den dunklen Kopf und die starken, wohlgeformten Arme nicht aus den Augen verlieren. Wenn Ben ertrinkt … Wenn Ben ertrinkt … Obwohl sie sich sagte, dass er ein ausgezeichneter Schwimmer war, konnte sie die Angst nicht vertreiben. Lächerlich. Niemals würde er ertrinken.
Neben dem Steg raschelte das Schilf, und sie hörte eine Wasserralle quieken. Eine Libelle flatterte empor. Glühend schien die Sonne vom wolkenlosen Himmel herab und brachte die Fontänen, die in silbrigen Bögen von Bens Armen aufgeworfen wurden, zum Glitzern.
Mikaela stopfte sich den Schleier in den Gürtel und näherte sich dem Ende des Stegs.
„Vorsicht!“, warnte Rozenn. „Die Planken da vorn sehen nicht besonders stabil aus.“
In diesem Moment erreichte Ben den Steg und bewies ihr das Gegenteil, indem er sich behände auf die Bretter stützte und aus dem Fluss schwang. Grinsend schüttelte er sich das Wasser aus den Augen und stemmte die Hände in die Hüften. „Ein Kuss!“ Kaum außer Atem schaute er Mikaela an. „Ich fordere meinen Kuss.“
Als sie vortrat und ihm ihre
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