Ballade der Leidenschaft
dürfte man Spuren sehen, doch die Narben werden verblassen.“
„Also keine Stiche?“, fragte Gien.
„Nein, die sind nicht nötig“, versicherte sie lächelnd. „Vorerst wirst du die Krähen nicht erschrecken, aber …“ Eine dünne Braue hochgezogen, musterte sie das Narbengesicht des Ritters und scherzte: „Dazu könnte es kommen, wenn du darauf bestehst, Sir Eudo auch weiterhin zu begleiten.“
Der Ritter ächzte und nahm sich ein großes Stück Käse. „Unbedingt wollte der Junge mir dienen. Ich erklärte ihm, dass ich so viele Jahre lang ohne einen Knappen ausgekommen bin und gar nicht wüsste, was ich mit ihm machen sollte. Außerdem konnte ich mir kein anständiges Pferd für ihn leisten. Trotzdem hängt er an mir und lässt sich einfach nicht eines Besseren belehren.“
„Wohin reist Ihr, Monsieur?“ Es widerstrebte Ben, die Frage zu stellen, auf die er eigentlich eine Antwort wünschte. Womöglich wäre der Ritter sogar beleidigt, wenn er ihn geradeheraus fragte, ob er derzeit in den Diensten eines Oberherrn stand oder ob er als Ritter ohne Landbesitz eine Beschäftigung suchte.
„Ben!“, rief Rose und eilte zwischen den Tischen herbei. In ihrem grünen Kleid mit dem schwarzen Seidengürtel und einem weißen Schleier sah sie so schön wie eine Prinzessin aus.
Bei ihrem Anblick schien alles andere in den Hintergrund zu treten. Sie knickste vor Sir Eudo, dann setzte sie sich neben Ben auf die Bank, und er spürte die Wärme ihres Körpers neben seinem. „Guten Morgen, Madame“, begrüßte Irene sie lächelnd.
„Guten Morgen.“
Rose stieß Ben mit dem Ellbogen an und wisperte: „Warum hast du mich nicht geweckt? Ich dachte, wir wollten möglichst zeitig aufbrechen.“ Unbefangen musterte sie den Ritter und reichte ihm die Hand. „Guten Tag, Monsieur, ich bin Rozenn aus Quimperlé.“
„Sir Eudo Bélon.“ Nur ganz kurz berührten seine Finger ihre. „Und das ist Gien, mein Knappe.“
„ Salud , Gien.“ Verstohlen glitt ihr Blick über sein verletztes Gesicht und den Waschlappen in Irenes Hand.
„ Salud , Madame.“
„Wenn wir schon dabei sind“, begann Ben, „ich heiße …“
„Benedict“, unterbrach ihn Eudo. „Ja, das wissen wir. Irene hat es uns gestern Abend mitgeteilt. Aber wir hörten Euch schon vorher singen.“
„Oh? Wo denn?“
„In Rennes, am letzten Michaelistag. Dahin sind wir auch jetzt wieder unterwegs.“
„Ah, Rennes …“ Ben verbarg seine Freude über diese Information. „Welch ein glücklicher Zufall, das ist auch unser Ziel! Wir wollen es über Josselin ansteuern. Reist Ihr heute Morgen ab?“
„Ja.“ Zweifelnd schaute Sir Eudo seinen Knappen an. „Kannst du reiten, mein Junge?“
„Gewiss, mir geht es gut. Ich bin nur leicht verletzt.“
„Dann unternehmen wir die Reise doch gemeinsam“, schlug Ben lächelnd vor.
Für gewöhnlich störten ihn die Neuigkeiten über Diebe, die sich da oder dort herumtrieben, nicht allzu sehr. Bisher war er stets allein mit den Feinden des Herzogs fertig geworden, sogar auf höchst befriedigende Weise. Aber Roses Anwesenheit änderte die Situation. Zwei Reisegefährten würden ihm helfen, etwas freier zu atmen.
„Oh, eine wundervolle Idee!“, stimmte Rose zu, als er ihr die Brotplatte zuschob. „Da hätten wir eine nette Gesellschaft. Aber ich fürchte, Ihr beide müsstet Geduld mit mir haben.“
Eudo furchte seine Stirn. „Wieso?“
„Weil meine Beine manchmal streiken.“ Sie schnitt eine Grimasse und lächelte Gien an. „Erst gestern habe ich reiten gelernt, mit mäßigem Erfolg. Heute kann ich kaum gehen. So leid es mir tut, Ihr würdet Euch meinem Tempo anpassen müssen.“
Bei diesen Worten schien die Sorge aus Sir Eudos Miene zu weichen, und Ben wusste, sie hatten eine Eskorte auf dem Weg nach Rennes.
Die Straße nach Josselin führte durch dichte Wälder. Über den Köpfen der Reisenden wölbten sich Baldachine aus üppigem Laub. Nur selten fielen Sonnenstrahlen auf die am Boden liegenden Bucheckern oder das Dornengestrüpp am Wegesrand. Paarweise ritten sie den ganzen Tag lang dahin, Rozenn und Gien hinter Ben und dem Ritter. Sir Eudo hatte den Helm abgenommen und mit einem Riemen an seinen Sattelknauf gehängt. Leise klirrte es bei jeder Bewegung seines Grauschimmels.
Wie Ben erleichtert feststellte, kam Rose auch ohne den Führzügel gut zurecht. Diskret lauschte er, während sie freundschaftlich mit dem Knappen schwatzte. Über den Hufschlägen und dem Klingeln der Geschirre
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