Ballade der Leidenschaft
küssen. Jener Kuss auf dem Landesteg war vielleicht ein Spektakel für die Zuschauer gewesen – aber es war der erste richtige Kuss, der sie nicht abgestoßen hatte. Träumerisch seufzte sie. Wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war – sie genoss es, Ben zu küssen. Heute Nacht hatte die geringste Berührung von ihm sie dahinschmelzen lassen. Stöhnend und zitternd hatte sie seine Zärtlichkeiten ausgekostet. Und sie war verloren gewesen.
Verloren …
Ihr Kopf sank aufs Kissen. Das musste ein Teil seines besonderen Zaubers sein. Denn alle Frauen himmelten ihn an, junge und alte, Frauen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten – Irene hier in der „Brücke“, die kleine Soaz im Badehaus, Barbe, Paola und ihre Freundinnen, Lady Alis, selbst die strenge Comtesse Muriel … Sie alle liebten ihn. Irgendetwas hatte er an sich, das die Frauen anzog wie das Licht die Motten. Wahrscheinlich würde er sogar in einem Felsbrocken lüsterne Gefühle wecken.
Und vielleicht wäre der Liebesakt mit Ben eine reine Freude.
Rozenn hielt den Atem an.
Würde er mir zeigen, wie man Gefallen an der körperlichen Liebe findet? Dagegen hätte er nichts einzuwenden, denn er mag mich …
Wie ein Bruder. Ja, wie ein Bruder liebt er mich …
Und wie brüderlich waren seine Küsse heute Nacht?
Nachdenklich kaute Rozenn an ihrer Unterlippe.
Überleg doch mal! Du weißt, wie sehr Ben die Frauen schätzt. Niemals kriegt er genug von ihnen. Er weiß, wie er sie verführen kann. Warum sollte er diese lasterhaft erworbenen Kenntnisse keinem nützlichen Zweck zuführen? Lass dir beibringen, wie man den Liebesakt genießt. Eine gefühlskalte Gemahlin würde Sir Richard zweifellos bitter enttäuschen. Und Ben kann dich zu der Frau machen, die sich der Ritter wünscht. Deinem alten Freund würde es sogar Spaß machen. Du bietest ihm die Fleischeslust, nach der die Männer sich sehnen. Und er braucht nicht zu befürchten, dich danach heiraten zu müssen.
Ja, sie würde Ben um Hilfe bitten. Was die Liebeskunst betraf, würde er ein sehr guter Lehrer sein.
Frag ihn.
Aber …
„Alles in Ordnung, Rose?“
„Mhm, ich denke nur nach.“
Bens warme Hand zerzauste ihr Haar, glitt dann an ihrem Hals und ihrem Arm hinab, und er schlang seine Finger um ihre.
„Wenn du irgendetwas brauchst, kleine Blume, ich bin für dich da“, beteuerte er und gähnte.
Rozenn öffnete den Mund, doch die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. So verwirrend war das alles … Sie schmiegte ihre Wange an die glatte warme Haut seiner Schulter und lauschte seinen Atemzügen, die bald ruhig und gleichmäßig wurden. Als er einschlummerte, lockerte sich der Griff seiner Finger.
Mit Bens Hilfe könntest du eine gute Liebhaberin werden. Mit seiner Hilfe …
Morgen, entschied sie. Darum würde sie ihn morgen bitten, falls sie das Durcheinander ihrer Gedanken bis dahin zu entwirren vermochte. Sie hatte immer nur schwesterliche Zuneigung für Ben empfunden, obwohl sie nicht blutsverwandt waren. Und doch – gewisse Zweifel ließen sich nicht leugnen.
Feigling.
Während Ben im Bett lag und den Kirchenglocken lauschte, zuckte er zusammen. Ein disharmonischer Ton beleidigte seine Ohren, und er blinzelte. Ganz klar, eine dieser Glocken müsste neu gegossen werden. Vermutlich klaffte ein Riss im Mantel.
Durch den Fensterschlitz fiel ein greller Lichtstrahl herein. Offenbar war die Morgendämmerung längst vorbei – sie hatten verschlafen.
Sie … Natürlich, Rose lag neben ihm. Er spürte ihre Wärme, hörte ihren Atem, und ihr Duft stieg ihm in die Nase. Zu seiner eigenen Verblüffung wünschte er sich, diese Empfindungen jeden Morgen genießen zu können. Sie schlief in ihrer gewohnten Stellung, auf der Seite zusammengerollt. Nur eine Handbreit von ihm entfernt. Ihr Haar – wie er sich vage entsann, hatte er es in der Nacht entwirrt – schimmerte wie braune Seide auf dem weißen Leinen. Eine Strähne fiel auf seine Brust, als wollte sie ihn umarmen. Das Band im Ausschnitt von Roses Nachthemd hatte sich gelockert und eine Schulter entblößt, die um einen Kuss zu flehen schien.
Ben sah auch die lockende Vertiefung zwischen ihren Brüsten. Mühsam bekämpfte er die Versuchung, Rose an sich zu ziehen.
In der Tat, sehr gefährlich.
Er neigte sich über sie, drückte einen zarten Kuss auf ihre Schulter und atmete noch einmal den süßen Duft ein. Verdammt, seine Begierde wuchs fast schmerzhaft. Diese Frau musste er nur anschauen, und prompt geriet sein Blut
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