Ballade der Liebe
trat vor. „Miss O’Keefe, ich darf Ihnen Lord Tannerton vorstellen.“
Rose versank in einen tiefen Knicks. „Mylord.“
Tannerton streckte ihr die Hand entgegen. Die Höflichkeit gebot ihr, seine Hand zu nehmen. „Es ist mir ein Vergnügen“, sagte er und hielt ihre Hand eine Sekunde länger, als ihr angenehm war.
Schließlich trat er beiseite und bat seine Gäste mit einer eleganten Handbewegung in die Loge. Rose trat an die Brüstung. Katy und Flynn blieben in der zweite Reihe.
Der Marquess neigte sich Rose zu. „In der Pause nehmen wir eine Erfrischung zu uns. Aber ich habe schon mal eine Flasche kommen lassen. Was halten Sie von einem Glas Champagner?“
Sie brauchte dringend etwas, um sich zu beruhigen. „Ja, gerne“, sagte sie daher.
Flynn schenkte ein, und Lord Tannerton reichte Rose das Glas.
„Französischer Schampus, noch vor dem Krieg importiert. Es ist mir gelungen, kürzlich eine Kiste zu ergattern.“ Er hob sein Glas. „Darf ich einen Toast aussprechen?“
Anmutig neigte Rose den Kopf und wunderte sich, wieso ein Marquess deshalb um Erlaubnis fragte.
„Auf neue Freunde“, sagte er und wandte sich an Katy, um sie einzubeziehen, doch sein Blick kehrte rasch zu Rose zurück.
„Auf neue Freunde“, wiederholte Katy.
Rose nippte stumm an ihrem Glas.
„Setzen wir uns.“ Tannerton wies auf zwei Sessel in der ersten Reihe. „Machen Sie es sich bequem. Die Vorstellung wird jeden Moment beginnen.“
Rose wandte sich an ihre Freundin. „Vielleicht möchte Katy … Miss Green … auch in der ersten Reihe sitzen?“
Katy überhörte Roses Bitte. „Lass nur, ich sitze gerne hinter dir und leiste Mr. Flynn Gesellschaft.“ Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, schob sie ihre Hand in seine Armbeuge.
„Setzen Sie sich“, wiederholte Tannerton.
Rose nahm auf einem Brokatsessel Platz, und der Marquess setzte sich neben sie. Zum ersten Mal in ihrem Leben blickte sie in das Halbrund eines der berühmtesten Opernhäuser der Welt.
„Du meine Güte!“, hauchte sie andachtsvoll.
Der burgunderrote Samtvorhang, mit langen Goldfransen verziert, in dessen Mitte das in Gold gestickte königliche Wappen prangte, reichte von der hohen Stuckdecke über drei Stockwerke der im Halbrund sich reihenden Logen bis zum Orchestergraben. Von dem mit Fresken bemalten Plafond hingen riesige Kristalllüster. An den Seitenwänden der Logen brannten mehrarmige Kerzenleuchter und tauchten den Saal in goldenes Licht. Im Parkett spazierten Theaterbesucher umher, begrüßten Freunde und Bekannte, plauderten, lachten und scherzten mit ihrer Begleitung. Die meisten Logen waren besetzt mit elegant gekleideten Herren und juwelengeschmückten Damen in kostbaren Abendtoiletten. Rose bemerkte, dass nicht wenige Operngläser auf Lord Tannertons Loge gerichtet und wieder abgesetzt wurden und Damen hinter vorgehaltenen Fächern miteinander tuschelten.
„Keine sehr gut besuchte Vorstellung“, stellte Tannerton fest und lächelte Rose an. „Aber ich hoffe, es gefällt Ihnen.“
„Es ist wunderschön“, antwortete sie und versuchte, nicht daran zu denken, was die anderen Opernbesucher über sie tuschelten. „Das Theater ist viel größer, als ich es mir je hätte vorstellen können.“ Etwas Vergleichbares, allerdings wesentlich kleiner, hatte sie bei einem Besuch in Astley’s Amphitheatre erlebt, in das Miss Hart ihre Elevinnen einmal geführt hatte, ein Zirkus, in dem Reiterdressuren vorgeführt wurden. Aber dies hier war das größte und schönste Theater im ganzen Königreich.
„Ich freue mich, Ihnen damit eine Freude zu machen. Flynn erwähnte, dass Sie sich über einen Opernbesuch freuen würden.“
Flynn.
Dieses grandiose Ereignis hatte sie Flynn zu verdanken. Er allein wusste, wie sehr sie sich das gewünscht hatte. Offenbar hatte er ihr verziehen, sonst hätte er ihr dieses Geschenk nicht gemacht. „Damit geht ein großer Wunsch für mich in Erfüllung.“
Rose hatte es als völlig selbstverständlich empfunden, Flynn von ihrer Mutter zu erzählen, von ihren Auftritten in King’s Theatre, ihren geplatzten Träumen, von ihrem frühen Tod, verspürte jedoch nicht den Wunsch, dem Marquess nun ebenfalls etwas davon anzuvertrauen.
Die Musiker nahmen ihre Plätze ein und begannen, die Instrumente zu stimmen. Geiger strichen die Bögen, Bläser stießen in ihre Trompeten und Posaunen, Flötisten trällerten Tonleitern. Dies waren die letzten Minuten vor einem Konzert, die Rose in fiebernde Spannung
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