Ballard, James G.
zwischen den Pfeilern hinaus.
Die Nachmittagssonne warf den Schatten der Fachwerkträger auf den weißen
Untergrund, so daß ein kalligraphisches Muster entstand.
»Wir übernachten am besten gleich
hier«, meinte Philip Jordan. »Morgen früh brechen wir rechtzeitig auf, damit
wir bis nachmittags um die gleiche Zeit gut vorankommen.«
Sie brauchten jeden Tag mindestens
zwei Stunden, um ihr Lager vorzubereiten. Sie schoben den Karren in den
Windschatten eines Brückenpfeilers, stießen ihre Speere in den Sand und
breiteten die Zeltplane darüber aus. Catherine und Ransom zogen einen tiefen
Graben um das Zelt und häuften den warmen Sand auf, der als zusätzlicher
Windschutz diente. Nachts blies ein kalter Wind über die Wüste, und die wenigen
Decken, die sie mitgebracht hatten, reichten kaum aus, um sie warmzuhalten.
Philip ging inzwischen am Ufer entlang und suchte in den Dünen nach Metallstücken.
Bei Sonnenuntergang hatten sie eine
einen Meter hohe Barriere halbkreisförmig um den Wagen und das Zelt gebaut, die
aus ineinander verschachtelten Metallteilen bestand. Hinter dieser Schutzwand
brannte ein kleines Feuer, auf dem sie ihre Abendmahlzeit zubereiteten. Der
Rauch stieg nach oben durch die Stahlträger der Brücke und löste sich in der
kalten Nachtluft auf.
Während die beiden Frauen kochten,
stiegen Ransom und Philip Jordan zur Brücke hinauf. Die leeren Wagen standen
schweigend unter dem klaren Himmel, dessen Sterne durch die Löcher in ihren
Dächern schimmerten. Philip begann sofort, den ausgetrockneten Holzboden des
Packwagens aufzureißen und das Holz über die Brücke zu werfen. Im Staub neben
den Gleisen lagen verrottete Koffer und Rucksäcke. Ransom ging nach vorn zur
Lokomotive. Er kletterte ins Führerhaus und suchte zwischen den rostigen Hebeln
und Knöpfen nach einem Wasserhahn. Dann lehnte er den Ellbogen auf die
gepolsterte Armlehne am Fenster des Lokomotivführers und starrte lange hinaus,
als warte er darauf, daß der Zug sich wieder in Bewegung setzen und über die
Brücke davondampfen werde.
Nachts wurde er plötzlich von Philip
Jordan aufgeweckt. »Doktor! Hören Sie!«
Er spürte die Hand des jungen Mannes
auf seiner Schulter. Als er aufsah, spiegelte sich die rötliche Glut des
niedergebrannten Feuers in Philips Augen. »Was ist denn?«
Weit von ihnen entfernt im
Nordwesten, wo die verdorrten Bäume und Sträucher der Wüste in die Ausläufer
dunkler Höhenzüge übergingen, erklang das langgezogene Heulen eines Tieres. Der
Ton brach sich an den Brückenpfeilern und hallte weiter über das weiße
Flußbett, als versuche das Tier, diese schweigende Landschaft nach langem
Schlaf zu neuem Leben zu erwecken.
Am nächsten Morgen bauten sie das
Lager schon bei Sonnenaufgang ab und verluden ihre Ausrüstung auf dem Karren.
Die unruhig verbrachte Nacht und die Tatsache, daß die Sonne jetzt täglich
früher aufging, verzögerten ihre Abfahrt. Philip Jordan ging ungeduldig vor dem
Karren auf und ab, während sie auf Mrs. Quilter warteten, und schlug dabei
mehrmals mit dem Speer gegen die Speichen. Sein dunkles Gesicht gab ihm in der
Morgensonne das Aussehen eines nervösen Nomaden, der zu den letzten
Überlebenden eines aristokratischen Stammes gehört, dessen Existenz durch die
Naturgewalten gefährdet ist.
»Haben Sie die Tierstimme gehört?«
fragte er Catherine, als sie erschien. »Was war das – ein Löwe oder ein
Panther?«
Catherine schüttelte den Kopf. Im
Gegensatz zu Philip schienen die nächtlichen Geräusche sie beruhigt zu haben.
»Weder noch. Vielleicht ein Hund oder ein Wolf. Die Entfernung war zu groß.«
»Nicht mehr als fünf oder sechs
Kilometer.« Philip stieg auf die Überreste des Lagers und beobachtete das
Flußbett. »In zwei oder drei Stunden sind wir in der Gegend, wo das Tier heute
nacht gewesen sein muß. Haltet also die Augen offen.« Er sah zu Catherine
hinüber und warf dann Ransom einen Blick zu. »Doktor?«
Ransom wärmte sich die Hände am
Feuer. »Selbstverständlich, Philip. Aber ich würde mir an deiner Stelle keine
Sorgen machen. Nach zehn Jahren haben die Tiere mehr Angst vor uns als wir vor
ihnen.«
»Darauf können wir uns aber nicht
verlassen, Doktor.« Philip wandte sich wieder an Catherine und fügte hinzu:
»Auf den Klippen haben wir einen Löwen gesehen.«
Als Mrs. Quilter endlich ihre
Morgentoilette beendet hatte versuchten sie gemeinsam, sie dazu zu überreden,
ihren Platz auf dem Karren einzunehmen. Obwohl sie schlecht
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