Ballast oder Eva lernt fliegen
gekippt hatte. Sie war sich nicht sicher, dass sie oder ihr Buch in irgendeinem großen Programm etwas zu suchen hatten. Absolut sicher war sie hingegen, dass der Typ vor ihr die Sorte Mann war, die Ariane, wenn sie gekonnt hätte, in den Hades exportiert hätte. Trotzdem fühlte sie sich geschmeichelt, wünschte sich einen Platz in Holzmichels Olymp. Warum auch, dachte sie, sollte sie ihm übel nehmen, dass er sie so offen umwarb?
Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass Ariane nun doch den vollgepackten Stuhl frei räumte und sich setzte. Eva war sich sicher, dass Ariane bald explodieren würde, wenn Holzmichel sie weiter so verächtlich behandelte.
„ Mit Ihnen auf dem Titelbild und in Talkshows“, fuhr dieser inzwischen mit Begeisterung fort, „wird es eine Kleinigkeit sein, den notwendigen Hype auszulösen. Und wenn dieser abgeklungen ist bleibt ja noch die Möglichkeit, im Ausland zu publizieren. Mit den Vertragsänderungen bedeutet das für Sie noch einmal sehr lohnende Tantiemen.“
Eva nickte nachdenklich. „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wird dieser... Hype nicht lange anhalten. Glauben Sie, dass mein Buch nicht interessant genug ist?“
„Wie? Oh nein, da haben Sie mich ganz falsch verstanden. Aber der Buchmarkt ist sehr unübersichtlich und die Werbeaktionen, mit denen man einzelne Titel pushen kann, wirken eher wie Strohfeuer... Ohne frisches Material kann man sie nicht wieder entfachen.“
„ Sie meinen also, wenn ich meine Botschaft nachhaltig vermitteln möchte, muss ich bald das nächste Buch vorlegen.“
Holzmichel sah sie überrascht an. Eva fragte sich, ob er ihr nicht zugetraut hatte, dass sie diesen einfachen Zusammenhang auf Anhieb verstand. Weil er sie für schön, aber blöd hielt. Was auch immer er dachte, Eva wollte es nicht auf sich sitzen lassen und redete deshalb schnell weiter. „Das Buch, an dem ich zur Zeit schreibe“, behauptete sie, ohne zu erröten, „geht über mein erstes weit hinaus. Ich komme eben aus Kathmandu zurück, wo ich einige Zeit unter tibetischen Mönchen verbracht habe.“ Holzmichel starrte sie ungläubig an. Ariane hatte sich ruckartig aufgesetzt und Eva zugewandt, die stur den Blick auf Holzmichel gerichtet hielt. „Diese Zeit hat mein Leben erneut radikal verändert. Seit einer Woche bin ich zurück und in diesen wenigen Tagen habe ich mein Leben und meine Wohnung entrümpelt. Sind Sie sich im Klaren, wie viel Ballast wir mit uns herumschleppen? Das Besitzdenken verhindert den Seelenfrieden , eine uralte Weisheit, und doch erschreckend aktuell. Mode und Make-up, das ist doch nur die Spitze eines Eisberges. Der Schönheitswahn ist nur ein kleiner Baustein des Konsumterrors. Damit die Wirtschaftsbosse in Geld schwimmen können, werden wir mit scheinbaren Bedürfnissen gefüttert, wie Gänse mit überflüssigen Wünschen gestopft. Alles im Namen des heiligen Wirtschaftsaufschwungs und des allgemeinen Wohlstands. Tatsächlich aber ersticken wir in all dem Überfluss. Was die Menschen in den Industrienationen wirklich brauchen, das sind nicht steigende Aktienkurse. Wir brauchen ein vom Habenmüssen befreites, unbelastetes Leben!“ Eva holte tief Luft. Stolz reckte sie ihr Kinn vor und sonnte sich in Holzmichels Bewunderung, die nun nicht mehr nur ihrer Schönheit galt.
„ Das ist genial!“ Ihr Lektor sah aus, als hindere nur der Schreibtisch ihn daran, vor ihr auf die Knie zu fallen. Eva sah sich selbst im weißen, mehr ent- als verhüllenden Überwurf in den Olymp einziehen. Sie würde eine Göttin sein, aber eine, die den Menschen Gutes brachte!
Holzmichel holte sie aus ihrer Vision zurück. „Wie weit sind Sie? Wir hatten ihr erstes Buch im Herbst zur Buchmesse eingeplant, aber vielleicht können wir es ja vorziehen und dann ihr zweites...“
„So schnell wird es nicht gehen,“ wehrte Eva erschrocken ab und sah nun endlich Ariane an. Der Freundin war anzusehen, wie sehr Evas Alleingang sie verletzt hatte.
Holzmichel hatte sich von seiner Enttäuschung schnell erholt. „Macht nichts“, versicherte er fröhlich. Verträumt sah er Eva an. Dann trat in seine Augen ein anderer, sehr konkreter Ausdruck. „Eva, ich darf Sie doch Eva nennen? Haben Sie heute Abend schon etwas vor? Ich kenne da einen Italiener...“
„ Herr Holzmichel, wenn Sie wegen des Vertrages noch Fragen haben“, entgegnete Eva kühl, „wenden Sie sich doch bitte an Frau Bäuerle. Sie wird Ihnen auch demnächst das Konzept für das neue Buch vorstellen.“
Ariane
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