Ballast oder Eva lernt fliegen
Erfolg. Der prachtvolle Anblick des fast fertigen Wohnzimmers überwältigte ihren Freund und ließ ihn alle Sorgen und Kränkungen der vergangenen Woche vergessen. Stolz stand sie in ihrem kleinen Tempel und ließ ihr Werk die Überzeugungsarbeit tun.
Die fahle Wintersonne schien durch das offene Fenster, dessen blutroter Rahmen noch feucht glänzte, und erweckte den hellen Orangeton der gegenüberliegenden Wand zum Leben. Erst der zweite Blick enthüllte das in einem nur wenig dunkleren Orange gehaltene Mandala, das Eva genau auf diesen Lichtfleck gemalt hatte. Die Zimmerdecke hatte sie in einem dritten, noch dunkleren Ton gestrichen, den sie auch für Heizkörper und Türrahmen verwendet hatte. In einer Zimmerecke war die Plastikfolie, die den einfachen, aber immerhin echten Holz-Fußboden bedeckte, ein Stück zur Seite gezogen. Die honigfarbenen Dielen harmonisierten wunderbar mit den warmen Farben.
Am frühen Nachmittag stießen Heinrich und Ariane zur Malertruppe. Bis zum späten Abend war fast alles Weiß aus der Wohnung verschwunden. Als die Freunde endlich müde auf dem Heimweg waren, wurde Bernd ohne Sex zu Bett geschickt.
Sonntagmorgens trat er splitterfasernackt hinter die putzende Eva. „Wie wäre es mit Sex vor dem Frühstück?“, fragte er wenig hoffnungsvoll.
„ Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“, erwiderte Eva fröhlich und putzte weiter.
Sie schufteten noch den halben Nachmittag, dann erst erlaubte Eva ihm, ihr in der Badewanne den Rücken zu schrubben und hinterher noch jeden anderen Zentimeter ihres Körpers. Es war ein denkwürdiges Wochenende. Vielleicht ein triumphales. In jedem Fall ein sehr befriedigendes für Eva. Und seinen würdigen Abschluss fand es im Saltimbocca , wo Eva bei der Vorspeise, natürlich Vitello Tonnato, plötzlich laut lachen musste. Auf Bernds Frage nach der Ursache schüttelte sie den Kopf und antwortete nur: „Ich liebe dich!“
„ Das hast du alles in den paar Tagen hingekriegt?“
Ariane wog beeindruckt den Papierstapel in ihrer Hand. Eva strahlte stolz. Eine Woche war vergangen seit ihrem Gespräch mit Holzmichel. Sie hatte die Zeit gut genutzt.
„Es hat richtig Spaß gemacht!“, versicherte sie ihrer Freundin. „Ich habe mir einfach all die Elternratgeber zum Vorbild genommen, die ich früher gelesen habe. Themen, die ich aufnehmen könnte, fallen mir fast täglich neue ein. Ich konnte gar nicht alle aufnehmen!“ Eva lachte glücklich. Sie hatte die Woche im Rausch verbracht. Ihre Gedanken schienen ihr plötzlich so klar – das viele Nachdenken hatte ihren Kopf aufgeräumt. „Jedes Thema bekommt eine Doppelseite. Die Inhalte habe ich schon in Stichworten skizziert. Außerdem habe ich mir überlegt, was für Illustrationen in Frage kommen. Und natürlich Tipps! Jede Doppelseite bekommt ihren Tipp, die meisten habe ich schon ausformuliert. Die werden dann in farbige Kästen gesetzt, wie es sich gehört. Ein Kinderspiel, wirklich!“
Ariane überflog die Seiten und schüttelte verwundert den Kopf. „Das wird richtig gut! Hast du schon einen Titel für das Buch?“
„Nein. Mal sehen, was Holzmichel dazu sagt. Vielleicht hat er noch ein paar gute Vorschläge.“
Ariane verzog gereizt das Gesicht. „Du willst den Kerl doch nicht im Ernst mitreden lassen?“, nörgelte sie. „Klar, er versteht was vom Bücher machen und so, aber du hast ihn kennen gelernt, oder? Das ist ein Mann, und zwar allerübelste Sorte. Wie soll der dich verstehen?“
„Falls er es wagen sollte, meine Inhalte anzurühren, verlasse ich mich ganz auf dich. Aber Holzmichel weiß, wie man Bücher erfolgreich macht.“ Und er kannte den Weg auf den Olymp. Außerdem stammte der Titel ihres ersten Buches zumindest teilweise von ihm. Ungeschminkte Wahrheiten. Eine Abrechnung mit der Schönheitsindustrie. Das hörte sich richtig gut an und passte perfekt. „Wenn wir tatsächlich etwas bewirken wollen, dann müssen wir möglichst viele Menschen erreichen. Und auf diesem Gebiet vertraue ich Holzmichel voll und ganz.“
Ja, Holzmichel hatte sie für den Olymp vorgeschlagen. Und Eva fühlte, dass er sie noch unterschätzt hatte. Sie glaubte nicht, dass der Lektor ihr Konzept kritisieren würde. Es würde ihn umhauen, zu Füßen würde er ihr liegen. Und genau da wollte sie ihn haben.
Es war ein nasskalter Februartag, doch Eva zog es nach draußen, kaum dass Ariane sich auf den Weg zum Verlag gemacht hatte. In Stiefeln und Felljacke, einen Wollschal um Hals und Kopf
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