Ballast oder Eva lernt fliegen
mit großen Augen an.
„Wir wollten dich nicht stören“, flüsterte Heinrich.
„ Du warst eine halbe Stunde lang total weggetreten“, erklärte Ariane.
Eva sah sich benommen um. Sie fühlte sich erschlagen und hatte rasende Kopfschmerzen. Heinrich bestand darauf, dass sie ihren Wagen stehen und sich von ihnen nach Hause bringen ließ. Als er sie noch bis in die Wohnung begleiten wollte, wehrte sie ab. Sie wartete, bis das Auto der Freunde außer Sicht war, dann erst schloss sie die Haustür auf und wankte die Treppe hinauf.
„ Du hast mir noch gar nicht gesagt, was du von der Idee mit der Wald-Trauung hältst. Findest du es nicht auch ein bisschen grenzwertig? Ich meine, ist doch irgendwie auch nichts anderes als eine kirchliche Trauung. Heinrich hat es ja mit diesem ganzen Esoterik-Quatsch. Klar, die Zeremonie ist sicher viel existentieller als das Blabla in der Kirche. Ich stell es mir auch echt schön vor, aber: Irgendwie... Ist doch alles ein Brei, oder?“
Eva unterdrückte ein Stöhnen. Es war Mittwochmorgen. Die Freundinnen waren auf dem Weg zum Verlag. Sie hatte wie ein Stein geschlafen, doch die Kopfschmerzen waren noch nicht ganz abgeklungen. Dann dachte sie an ihre leergeräumte Wohnung, von der sie Ariane noch kein Wort erzählt hatte, und fühlte sich etwas besser. Ihre Freundin würde sich noch wundern!
Der Lektor war ein untersetzter Fünfziger mit zerzaustem Haar und Lesebrille. Über diese hinweg sah er verdutzt Eva an. Dann eilte er ihr mit ausgestreckter Hand entgegen. Ariane schenkte er keinerlei Beachtung.
„ Frau Idengart, ich bin entzückt, wirklich entzückt! Holzmichel mein Name. Bitte setzen Sie sich doch.“
Ariane, die den einzigen noch vorhandenen Stuhl von einem Berg großformatiger Briefumschläge hätte befreien müssen, zog es vor, hinter Eva Aufstellung zu nehmen.
„Ich habe noch einige kleinere Änderungen, was den Vertrag angeht“, begann sie angriffslustig. „Sie beanspruchen darin alle Rechte am Manuskript für Ihren Verlag. Was Übersetzungen oder mögliche Verfilmungen angeht...“
„ Verfilmungen?“ Holzmichel bedachte Ariane mit einem mitleidigen Blick. „Ratgeber werden nicht verfilmt, meine Beste. Allerdings gestehe ich, dass wir bislang zahlreiche Möglichkeiten außer Acht gelassen haben. Ich wusste ja nicht“, fuhr er, nun wieder mit strahlendem Lächeln, an Eva gewandt fort, „dass Sie so überaus attraktiv sind. Das müssen wir bei unserem Marketingkonzept selbstverständlich mit einbeziehen. Ihre Agentin hat uns ja kein Wort gesagt...“
„ Für Frau Bäuerle zählt das auch nicht zu meinen erwähnenswerten Vorzügen“, erklärte Eva mit leisem Lächeln.
„ Oh! Verstehe.“ Holzmichel feixte und Eva musste die Augen niederschlagen, um nicht zu lachen.
„ Jedenfalls sind wir nicht bereit...“, setzte Ariane wütend an, wurde jedoch von Holzmichel unterbrochen. „Nun, was den Vertrag angeht...“, erklärte dieser an Eva gewandt, „es ist nicht üblich, bei einem Erstlingswerk auf die Forderungen und Wünsche der Autoren einzugehen, immerhin trägt der Verlag das volle Risiko. Ich denke aber, ihre sehr rührige Agentin wird zufrieden sein, wenn ich Ihnen zusätzlich zu dem bereits angebotenen festen Honorar eine prozentuale Beteiligung anbiete, die ausgezahlt wird, sobald die Produktionskosten gedeckt sind. Was bald genug der Fall sein wird, ich denke, das kann ich Ihnen versprechen. Ich werde Sie für das ganz große Programm vorschlagen.“
Eva runzelte die Stirn. „Ich fürchte, ich verstehe nicht...“
„Oh, natürlich, das können Sie nicht wissen. Ich werde Ihnen ein kleines Geheimnis verraten.“ Mit gönnerhafter Miene klärte er Eva darüber auf, wie Verlage durch groß angelegte Werbemaßnahmen schon vor Erscheinen eines Buches die Nachfrage so in die Höhe treiben konnten, dass es unweigerlich seinen Weg in die Bestseller-Listen finden musste. „Natürlich treiben wir nicht bei jedem Buch diesen Aufwand. Im Olymp der Bestseller-Autoren gibt es nun mal nur eine sehr begrenzte Anzahl an Stellen zu besetzen.“
„ Und meinen möglichen Aufstieg in diesen Olymp habe ich meiner Schönheit zu verdanken?“
„ Nun, ganz ohne Inhalte geht es natürlich auch nicht. Tatsächlich hatte ich ohnehin schon vor, Ihr Buch für das große Programm vorzuschlagen. Ich hatte nur keine Ahnung, wie leicht es sein würde, Sie ganz nach vorne zu bringen.“
Es war kaum ein Jahr her, dass Eva ihr eigenes Großes Programm auf den Müll
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