Ballast oder Eva lernt fliegen
die alle bisherigen Säuberungsaktionen überdauert hatte. Trübsinnig starrte sie auf das fast leere Blatt Papier in ihrer Hand. Sie war falsch, diese Liste. Sie entsprach so ganz und gar nicht dem Opfer, das Eva darzubringen bereit war. Denn ein Opfer war es, viel mehr als ein Befreiungsschlag. Da musste doch eine anständige, befriedigende, Ruhm bringende Liste herausspringen!
Normalerweise barg ihre Küche genug Fertignahrung, um einen Krieg zu überstehen, erst Recht aber, um mehrere Blätter zu füllen. Das wäre dann eine richtige, echte Liste geworden... Mit einem Ruck setzte Eva sich auf. Natürlich! Da lag der Fehler! Fertigkost sammelt sich nicht an, sie wird aufgegessen. Was Eva brauchte, war eine rote Liste, eine Liste all der künftig unerwünschten Lebensmittel. Eine Liste der Produkte, die sie in der Vergangenheit gekauft hatte, die nun aber keinen Platz mehr in ihren Schränken und in ihrem Leben haben sollten. Das war einfach!
Mit geröteten Wangen und funkelnden Augen machte sie sich an die Arbeit. Zunächst stellte sie sich den Inhalt ihrer Schränke nach einem Großeinkauf vor. Dann beförderte sie jede einzelne Packung genussvoll auf den fiktiven Scheiterhaufen. Ob Kekse, Pizza oder Päckchensuppen, alles das kam auf den Index, bei dem Eva vermutete, dass sie es – zumindest in der Theorie – auch selbst zubereiten konnte. War sie unsicher, so befragte sie in Gedanken Bernd und Heinrich, vor allem Heinrich, und manchmal rief sie auch lang verschütt gegangene Erinnerungen an ihre Großmutter wach. Die war die unangefochtene Instanz in ihrer Familie gewesen, wenn es um das Einmachen und Einkochen ging. Eine zögernde Stimme in Evas Hinterkopf wagte sie daran zu erinnern, dass sie keine Ahnung hatte, wie man Marmelade kochte. Dass sie Küchenarbeit hasste und die – wenn auch künstliche – Aromenvielfalt von Kaffee-Pads liebte. Doch die Liste tat bereits ihre Wirkung. Euphorie hatte von Evas Hirn Besitz ergriffen und ertränkte die störende Stimme rasch in den steigenden Endorphinfluten. Die Liste wuchs, und doch genügte sie der im Rausch gefangenen Eva nicht. Als in ihrer gedanklich aufgerüsteten Küche nichts mehr zu holen war, begab sie sich auf eine imaginäre Einkaufstour, streifte durch die Regale ihres Supermarktes und sah all die verlockenden Auslagen vor sich. Sie würde von diesen verbotenen Früchten nicht mehr kosten, keine Schlange dieser Welt sollte sie dazu verleiten! Mit brennenden Wangen setzte sie all die schillernden Produkte auf ihren Index, die sie in Versuchung führen, sie von ihrem rechten Weg abbringen wollten. Sie spürte, dass ihre rote Liste, ihr Index unerwünschter Lebensmittel, etwas Großartiges, Heiliges in sich trug. Wie die Inquisition suchte sie den Supermarkt heim, und nachdem sie, an der Kasse angelangt, noch händevoll Schokoriegel indiziert hatte, lehnte sie sich zurück, warf Block und Stifte von sich, schloss selig die Augen und schlief ein.
Ihr hungriger Magen weckte sie auf. Benommen reckte sie sich und versuchte den Anflug von Kopfschmerzen zu verscheuchen. Dann starrte sie die über den Boden verstreuten Blätter an und seufzte. Ihr Magen würde warten müssen. Wenn sie essen wollte, würde sie kochen müssen. Eva kannte ihren Hunger und wusste, dass er unangenehm werden würde. Missmutig durchwühlte sie die Küche auf der Suche nach etwas, das zu kochen sich lohnen würde.
Es war Donnerstagabend, Ariane hatte den Tag frei genommen. Niemand da, um mit ihr ihre Heldentat zu feiern. Niemand, der sie mit Leckereien belohnte. Mit Scaloppine, oder Thunfischsalat, oder... Ja! Warum eigentlich nicht? Eva lachte glücklich. Sie würde ihre rote Liste mit einem ausgiebigen, guten Essen würdigen. Singend eilte sie ans Telefon und bestellte im Saltimbocca einen Tisch für eine Person.
Sie brauchte kaum fünf Minuten, um sich zum Ausgehen fertig zu machen, und darüber, vor allem aber über ihre früheren Exzesse in solchen Fällen, musste Eva so sehr lachen, dass sie sich die Augen trocknen musste. Plötzlich war der Hunger weniger nagend und Eva beschloss, noch schnell an Christian zu schreiben, bevor sie das Haus verlies. Eine SMS genügte, sie wusste, er würde verstehen und sie mit einer begeisterten Antwort belohnen.
Ein wenig musste sie dann doch warten, sie saß bereits, wohlig satt und zufrieden mit sich selbst, beim Espresso, als sein ‚du bist die grösste’ ihr Handy vibrieren machte.
Den Gedanken, auch Bernd auf diese Weise zu
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