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Ballast oder Eva lernt fliegen

Ballast oder Eva lernt fliegen

Titel: Ballast oder Eva lernt fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Jeuk
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uns beide.“

    ***

    Ausatmen. – Langsam und tief einatmen. – Den Atem fließen lassen. Es tat unsäglich gut. Seit Wochen zum ersten Mal, ihre Gelenke waren schon etwas steif geworden.
    Die Ecke sah ohne den Fernseher schöner aus. In Zukunft würde immer genug Zeit bleiben für Yoga und Meditation. Viel mehr brauchte es nicht für ein erfülltes Leben. Vielleicht war der Buddhismus eine Möglichkeit? Wie die Mönche nur das Allernötigste zu besitzen, das musste wahre Freiheit sein. Ein Leben ohne materiellen Ballast. Frei sein und fliegen, über das Dach der Welt hinaus.
    Willst du glücklich leben, dann lerne, über deinen eigenen Tod zu meditieren. Er ist nicht das Ende des Lebens, sondern der Beginn einer neuen Geburt. Der Tod ist eine Pforte.
    Wiedergeboren. Neugeboren. Die Mönche glaubten, erst sterben zu müssen. Dabei war es so einfach, wiedergeboren zu werden. So einfach!
    Die Wiedergeburt war der Ballast, mit dem sich buddhistische Mönche herumschlugen. Auch sie hatten ihren Ballast: Das Gefangensein im ständigen Kreislauf erneuerter Leben. Eine Schlange, die sich in den Schwanz biss. Die Wiedergeburt war der letzte Ballast, wer ihn abwarf, der ging ins Nirwana ein.
    Welch schönes Wort: Nirwana. Die Seele würde aufsteigen, gleich einem Fesselballon. Im Nirwana gab es keinen Ballast, nur Leichtigkeit und Freiheit. Nein: Nirwana war das Gegenteil von Ballast. Denn hieß es nicht: Nirwana ist das Nichts?

    *

    Ein frisch gewaschener Morgen – wo hatte sie das gelesen? Dies war einer. Die Luft rein und noch kühl, der nasse Asphalt glänzte, und die Pflanzen waren übersäht mit Tausenden kleiner, funkelnder Prismen.
    Noch waren die Straßen leer. Die beste Zeit für Spaziergänge durch die Stadt. Später war die Innenstadt kaum zu ertragen.
    Eine Kreuzung: Geradeaus ging es zum Bahnhof, da herrschte schon Betrieb. Also nach links. Unbekannte Straße, ein unbekannter Weg, was mochte er bringen?
    Wohnhäuser. Erst große Stadthäuser, dann kamen kleinere. Sie wichen von der Straße zurück und schufen Platz für Gärten. Große Gärten. Kleine Gärten. Verwilderte Gärten. Gepflegte Gärten – Gärtner.
    Schnell auf die andere Seite wechseln und in die Querstraße. Ruhig! Es bestand kein Anlass, so zu rennen! Selbst wenn er sich umgedreht haben sollte: Was spielte das für eine Rolle?
    Keine Gärten mehr, dafür dunkle, fleckige Häuserblöcke mit vereinzelten Läden. Keine schöne Gegend. Warum diese Flucht? Warum nicht einfach grüßen und dann weitergehen? Die Schaufensterscheiben waren schmutzig. Bahnhofsgegend. Ein heruntergekommenes Hotel. Warum nicht mit ihm reden, so wie früher?
    Die Straße endete auf der Rückseite des Bahnhofs. Längst kein frisch gewaschener Morgen mehr. Ein Müllauto: Es stank.
    Im Bahnhofsgebäude wimmelte es von Frühaufstehern. Keiner sah nach rechts oder links. Der Bahnhof inzwischen vertrautes Gelände, doch heute brauchte sie keinen der silbern sich schlängelnden Züge. Keine Lesung, keine schlangestehenden Menschen, die ein Autogramm haben wollten. Heute nicht.
    Die Buchhandlung hatte bereits geöffnet. Aus dem Schaufenster strahlte ihr Lächeln fünf Mal. War das wirklich sie? Fünf Spiegelbilder, fünf fremde Eva Idengarts. Aus einem anderen, früheren Leben. Aus einem der vielen. Zu viele waren es nun schon. Daneben ein Mönch: Er lächelte, nicht strahlend, sondern wissend.
    Drinnen gab es mehr Bücher über den Buddhismus. Auch Bildbände. Bilder vom Dach der Welt. Sie weckten Erinnerungen, doch war die erlebte Magie nicht darin spürbar. Ein kleines, unscheinbares Büchlein, eine Einführung, das war besser, und vielleicht noch eins vom Dalai Lama. Daneben
    Haben oder Sein

    Haben oder Sein.
    Natürlich kannte sie den Titel.
    Hatte von ihm gehört.
    Und doch nie an ihn gedacht.
    Haben oder Sein.

    *

    dass ich immer habgieriger werden muss, denn wenn Haben mein Ziel ist, bin ich umso mehr, je mehr ich habe
    …
    Ich kann nie zufrieden sein, denn meine Wünsche sind endlos.
    Habgier und Frieden schließen einander aus.
    ...
    „Hör dir das an: Die Entwicklung dieses Wirtschaftssystems wurde nicht mehr durch die Frage: Was ist gut für den Menschen? bestimmt, sondern durch die Frage: Was ist gut für das Wachstum des Systems? Und weißt du, welches System gemeint ist? Der Kapitalismus des 18. Jahrhunderts!“
    Bernd, auf der Liege, ließ den Wirtschaftsteil der FAZ sinken und sah zu ihr herab. „Sehr viel weiter sind wir seither ja nicht gekommen,

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