Ballaststoff
sie mit einem scheuen Lächeln und verschwand ums Haus.
Verwundert blieb Gesche für einen Moment sitzen und dachte über das Verhalten ihrer Nachbarin nach. Sie ist halt Künstlerin. Solche Menschen sind ja meistens etwas wunderlich. Vielleicht hat es auch etwas mit dem Verhältnis zu ihrer Tochter zu tun, überlegte sie. Wenn ich Tilde besser kennengelernt habe, werde ich sie bei Gelegenheit noch einmal danach fragen.
»Oh, hoher Besuch! Dann verkrümel ich mich besser mal«, sagte Thomas Niemann und räumte seinen Platz auf der Ecke von Angermüllers Schreibtisch.
»Passt mal auf, jetzt kriegt ihr einen Orden!«
Es wirkte ein wenig albern, wie der leitende Kriminaldirektor sich etwas neigte und an die offen stehende Bürotür klopfte, bevor er hereinfederte. Unter seinem Bürstenschnitt strahlte Harald Appels übers ganze Gesicht. Recht selten sahen seine Mitarbeiter ihren Chef in dieser aufgeräumten Stimmung. Meist ließ er sich nur blicken, wenn er etwas zu monieren hatte, sie zu größeren Fortschritten in ihrer Arbeit antreiben wollte. Er beklagte sich dann stets über seine Position, die ihn so absolut gnadenlos dem Druck der Öffentlichkeit aussetze, die stets schnelle Erfolge der Polizei sehen wolle.
»Schönen guten Tag, meine Herren!«
»Hallo, Harald«, grüßte Angermüller aus seinem Schreibtischstuhl.
»Moin«, sagte Jansen, der mit verschränkten Armen und skeptischem Gesicht in der Tür zu seinem Büro Stellung bezogen hatte.
»Ja! Das sind ja dolle Sachen, die man so über euch hört! Gratulation!«
Der Kriminaldirektor rieb sich die Hände und sah von einem zum anderen.
»Ganz nebenbei, quasi als Beifang, spüren meine Mitarbeiter vom K 1 eine Hanfplantage auf, stellen den Täter und servieren ihn den Kollegen von der Drogenfahndung auf dem silbernen Tablett. Gut gemacht!«
Mit seinem leicht rundlichen Körper tänzelte er zwischen Angermüller und Jansen hin und her und schüttelte jedem kräftig die Hand.
»Diese Peggy Stein wurde einstweilen wieder nach Hause geschickt. Die Verdachtsgründe reichten für einen Haftbefehl nicht aus. Sie war wohl wirklich nur bei der Sache dabei, weil sie die Freundin von dem Andresen ist. Eine aktive Beteiligung an dem Geschäft konnte ihr jedenfalls bisher nicht nachgewiesen werden. Gut, der Prozess kommt erst noch. Aber dieser Holger Andresen als Wiederholungstäter wird bestimmt für drei Jahre aus dem Verkehr gezogen. Und ihr seid ja auch noch an dem dran. Vielleicht kommt da sogar noch mehr zusammen. Wie dem auch sei«, fuhr der Chef hochzufrieden fort, »habe für morgen Nachmittag eine Pressekonferenz angesetzt, mit Powerpoint-Präsentation, Fotos von der amtlichen Zerstörung des Marihuanafeldes, ein paar Demonstrationsexemplaren der Hanfpflanzen und so weiter und so fort. Und ihr solltet nach Möglichkeit natürlich auch dabei sein!«
Das war ja klar, dachte Angermüller. Der Behördenchef liebte es, auf Pressekonferenzen für die Information und Aufklärung der Bevölkerung zu wirken, seiner Pflicht zur Transparenz der Exekutive nachzukommen, wie er es ausdrückte. Harald Appels sonnte sich nun mal gern im Licht der Erfolge seiner Mitarbeiter.
»Und für alle Journalisten gibt’s ’nen kleinen Joint als Kostprobe, oder wie?«
Nach einem irritierten Blick auf den feixenden Jansen fuhr Appels mit seiner Lobrede fort.
»Kollegen, ich bin stolz auf euch! Habe eben mit dem Innenministerium telefoniert. Die waren auch schwer beeindruckt!«
»Und«, fragte Jansen ungerührt, »gibt’s ’ne Gehaltszulage?«
»Unser Claus Jansen! Immer einen Scherz auf den Lippen«, stellte Appels mit schräg gelegtem Kopf fest. »Natürlich nicht. Aber ein großes Lob und ein Dankeschön!«
»Na denn. Danke auch. Dann können wir jetzt ja weiterarbeiten.«
»Na selbstverständlich«, antwortete der Kriminaldirektor leicht verschnupft und rückte seine auffällige blaue Designerbrille zurecht. »Das sollt ihr auch. Schließlich müsst ihr euren eigenen Fall auch zügig aufklären. Wie sieht’s aus?«
Zügig aufklären – das war eine der Lieblingsfloskeln des Chefs.
»Gut sieht’s aus. Wir arbeiten gerade die Berichte aus der Kriminaltechnik und der Rechtsmedizin durch.«
Sollte er Harald Appels sagen, dass sie noch ziemlich weit von der Aufklärung des Mordes an Kurt Staroske entfernt waren, noch nicht einmal den Tatort kannten? Angermüller zog es vor, dem Mann nicht die Laune zu verderben.
»Ich denke, bis Ende der Woche können wir ein
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