Ballaststoff
liegt.«
Er selbst hatte ja vor zwei Tagen vorgeschlagen, das Gespräch zu suchen, ihre Probleme und Konflikte einmal zum Thema zu machen, und er war sich dabei sicher gewesen, dass Astrid genau wusste, wovon er sprach, und diese Notwendigkeit einsah. Dass sie jetzt die Initiative ergriff, fand er nun allerdings erstaunlich, und fast störte es ihn ein bisschen. Hatte sie vielleicht sogar diesen Abend zu zweit extra zu diesem Zweck arrangiert, ging es ihm durch den Kopf? Nun gut, was sollte er darüber nachgrübeln. Besser so als nie. Er war gespannt, wie sie anfangen würde.
»Ja, sehr gut. Ich finde das total richtig und wichtig, dass wir mal reden. Ich hätte das auch noch angesprochen heute. Jetzt bist du mir zuvorgekommen.«
Ob sie ihm das wirklich glaubte, war an ihrem kurzen, zerstreuten Lächeln nicht zu erkennen. Aber sie schien Georgs Antwort auch gar nicht hören zu wollen, so tief war sie in ihre Gedanken versunken, konzentrierte sich auf das, was sie sagen wollte.
»Ich habe gemerkt, dass wir in letzter Zeit, wenn wir unterschiedlicher Auffassung sind, immer ziemlich schnell in so einen gereizten Ton verfallen. Alle beide. Irgendwelche Dinge, die man ganz ruhig besprechen könnte, irgendwelche Kleinigkeiten, enden gleich in einem Streit. Früher haben wir nie gestritten, Georg!«, sagte sie und sah ihn an.
Er hob nur hilflos die Schultern. Die Traurigkeit, mit der Astrid diese Feststellung traf, hinderte ihn daran zu antworten, dass es seiner Beobachtung nach in 95 Prozent der Fälle an ihr lag, wenn es so lief. Ihre Betroffenheit war wirklich echt, und sie tat ihm leid. Sie begann aufzuzählen, was sich für sie im letzten Jahr alles verändert hatte. Die Zwillinge waren zwar selbstständiger geworden. Ihrer Meinung nach wurde die Erziehung dadurch aber keineswegs einfacher. Seit sie die neue Stelle hatte, wurde sie in ihrem Job ganz anders gefordert. Sie freute sich darüber, doch ihr größeres Engagement im Beruf mit all ihren privaten Pflichten und Aufgaben in Einklang zu bringen, fiel ihr zunehmend schwer.
Gern hätte Georg eingewendet, dass der Stress, unter dem sie litt, in vielerlei Hinsicht hausgemacht war, da sie immer und überall perfekt sein wollte. Würde sie öfter einmal alle fünfe gerade sein lassen, würde das niemandem auffallen außer ihr selbst, aber sie wollte alles immer 150-prozentig gut machen, im Beruf wie im Privatleben. Doch er behielt diese Argumente für sich, da er wusste, wie sie darauf reagieren würde, und die lang erwartete Aussprache vielleicht ein abruptes Ende finden könnte. Also ließ er sie einfach weiterreden.
Nun kam Astrid auf ihn zu sprechen, dass er eben leider nicht immer ein verlässlicher Partner im manchmal recht stressigen Alltagsleben war. Dass er oft Versprechen machte, die er nie einlöste, Termine einfach vergaß, häufig zu spät kam oder auch die Notwendigkeit bestimmter Dinge, die ihr wichtig waren, nicht einsah.
»Also, wenn ich den Kindern etwas verspreche, dann halte ich das eigentlich immer ein, Astrid. Ich hab die beiden noch nie enttäuscht.«
»Okay, das stimmt wohl. Ich will nicht ungerecht sein«, lenkte Astrid ein. »Aber wenn ich auf etwas Wert lege, das du überflüssig oder unwichtig findest, dann schaltest du auf stur. Also mache ich vieles lieber selbst, statt dich erst mühsam zu überzeugen. Aber das sehe ich eigentlich nicht ein, dass ich mir immer alles auflade, nur weil es mich noch mehr belastet, wenn du etwas übernimmst und ich ständig befürchten muss, mich nicht auf dich verlassen zu können.«
Jetzt musste Georg aber widersprechen. Schließlich hatte sich da vieles gebessert, und was sie überhaupt nicht erwähnte, waren seine beruflichen Verpflichtungen, die manchmal einfach seine zeitliche Selbstbestimmung außer Kraft setzten. Aber sein Job war ihr ja schon lange ein Dorn im Auge. Außerdem ließ sich doch im Vorfeld klären, ob man unbedingt einen Stand auf dem Schulbasar machen musste, den Fahrdienst zum Hockey übernehmen wollte oder das nächste Elterntreffen organisieren konnte. Immer halste Astrid sich solche Pflichten auf und musste dann oft hinterher feststellen, dass er sie bei diesen Aktivitäten anderer Termine wegen nicht unterstützen konnte. Doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Nur eines noch, dann bin ich fertig: Du hast dich verändert, Georg. Früher war das nämlich alles nicht so. Da waren wir ein Team. Jetzt hab ich mehr und mehr das Gefühl, dass wir uns fremd geworden sind.
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