Ballaststoff
geröstetem Sesam bestreut hatte. Eigentlich mochte sie dieses asiatisch inspirierte Gericht, doch heute war ihr der Magen wie zugeschnürt. Es gab so vieles, das sie von Henning noch wissen wollte, so vieles, was geklärt werden musste. Ungeduldig wartete sie, dass der Nachtisch verteilt wurde – heute gab es Apfelreis –, nahm davon nur ein paar Löffel und schenkte den Rest an Dominik weiter, der ihn glücklich auflöffelte.
Endlich saß sie mit Henning allein hinten im Gartenpavillon bei ihrer Tasse Kaffee.
»Es zieht sich zu«, sagte ihr Mann und blickte zum dunkler werdenden Himmel. Kein Lüftchen regte sich mehr in den Obstbäumen.
»Ein Glück, dass wir kein Heu mehr draußen haben, da kommt heute bestimmt noch mächtig was runter.«
»Henning, ich bin wahnsinnig froh, dass wir gestern über alles gesprochen haben. Auch wenn ich jetzt Thea nicht mehr anschauen kann, ohne ständig daran zu denken«, sagte Gesche und legte ihre Hand auf die ihres Mannes. Henning nickte.
»Sag mir noch mal, wie war das genau, als du ihn darauf angesprochen hast?«
»Wenn du das unbedingt möchtest«, er kniff konzentriert die Augen zusammen. »Eigentlich war es ja so, dass die Szene, die ich beobachtet hatte, zweideutig war. Ich bin also nicht mit der Tür ins Haus gefallen, ich konnte mich ja auch getäuscht oder das Ganze überinterpretiert haben. Also hab ich das Thema erst einmal nur vorsichtig angesprochen.«
Ganz in seine Erinnerung versunken, saß Henning da.
»Er war völlig locker. Wie immer halt. Erst schien er gar nicht zu verstehen, was ich überhaupt wollte. So nach dem Motto, wieso, was willst du eigentlich, da war doch gar nichts. Ich bin doch einfach nur nett und die kleinen Mädchen, die mögen mich eben. Aber natürlich wusste er ganz genau, worauf ich hinauswollte. Spätestens, als er anfing, mir einen Vortrag zu halten über verklemmte bürgerliche Moral und dass auch Kinder ein Recht auf das Ausleben ihrer Sexualität hätten. Na ja, du weißt ja, wie er war. Total von sich überzeugt, ein Narziss in jeder Hinsicht.«
»Oh, Mann«, sagte Gesche nur. Sie schüttelte den Kopf, als könne sie es gar nicht glauben.
»Und er war gar nicht irgendwie schuldbewusst?«
»Überhaupt nicht! Er war sich keines Fehlers bewusst. Im Gegenteil. Er wollte mir klarmachen, dass ich eine völlig falsche Einstellung habe!«
Henning rutschte unruhig auf der Bank hin und her.
»Ich werde schon wieder wütend, wenn ich nur an sein selbstzufriedenes Gesicht dabei denke!«
»Es ist wirklich ungeheuerlich! Wie konnte er nur!«, brach es aus Gesche heraus. »Unser kleines Mädchen. Oh, mein Gott!«
»Beruhige dich, Gesche. Ich habe doch gleich mit Thea gesprochen, ganz behutsam, ganz vorsichtig, und ich bin mir sicher, das war das erste und einzige Mal, dass er sich ihr so genähert hat. Aber wir haben verdammtes Glück gehabt, dass ich es rechtzeitig mitbekommen habe! Und wenn da wirklich noch mehr vorgefallen wäre, hätte sie es uns gesagt, da bin ich mir bei unserer Thea ganz sicher. Schließlich weiß sie, dass sie uns rückhaltlos vertrauen kann.«
»Meinst du wirklich?«, fragte Gesche halb zweifelnd, halb hoffend.
»Sie ist ein starkes Kind, sie weiß sich zu wehren und dass sie sich immer und zu jeder Zeit auf ihre Eltern verlassen kann«, war Henning überzeugt.
Seine Frau sah ihn an und seufzte.
»Wahrscheinlich hast du recht. Ach, Henning«, sie beugte sich zu ihm herüber und umarmte ihn. »Ich bin so glücklich, dass ich dich habe, dich und deinen unerschütterlichen Optimismus.«
Er lächelte und strich ihr liebevoll über den Rücken.
»Auch wenn du son oller Sturkopp bist!«
»Ich doch nich!«
Gesche lachte.
»Du weißt schon, was ich meine, Herr Langhusen!«
Sie wurde wieder ernst.
»Ich hoffe nur, ich verliere wieder diese übertriebene Furcht, die ich jetzt immer um Thea habe. Und sag mal, seine Freundin, die hat doch auch zwei kleine Mädchen …?«
Einen Moment saßen sie schweigend da, dann sagte Gesche:
»Henning, ich habe nachgedacht, wegen der Polizei und so …«
»Ich muss mich bei der Polizei melden und denen die Wahrheit sagen«, unterbrach er sie, »und zwar bald.«
»Genau, am besten heute noch«, sagte Gesche erleichtert. »Und ich bin froh, dass du das genauso siehst wie ich. Aber nicht du, sondern wir müssen uns bei der Polizei melden. Ich lass dich in dieser Sache doch nicht allein!«
»Was?«
Fast gleichzeitig riefen Angermüller und Jansen diese
Weitere Kostenlose Bücher