Ballnacht in Colston Hall
Bruder?”
“Oh, Mister Frederick Fostyn. Welch eine Enttäuschung ist er für mich. Ich fürchte, er hat erst noch eine Aufgabe zu erfüllen.”
“Meint Ihr …” Sie stockte und biss sich auf die Zunge.
Sir Arthurs Lächeln vertiefte sich und wurde schmierig. “Einige Waren sind noch nicht geliefert worden und bestimmte Pflichten noch nicht erledigt. Wenn alles zu meiner vollsten Zufriedenheit ausgeführt ist, mag er meinetwegen in den Schoß seiner Familie zurückkehren.” Er hielt inne und beobachtete Lydias Miene. “Ich brauche aber Sicherheiten, Ihr versteht?”
“Sicherheiten?”
“Nun, sagen wir, Garantien.”
“Wegen des Schmuggels?”, fragte Lydia unverblümt und versuchte damit, endlich Licht in die Sache zu bringen. “Ach, was ist das schon? Jeder beteiligt sich doch hier daran. Ihr könnt ganz sicher sein, dass weder ich noch mein Bruder auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verlauten lassen. Ich gebe Euch mein Wort.”
“Ich freue mich, dass Ihr so vernünftig darüber denkt. Aber ich brauche mehr als nur Euer Wort. Ich verlange Euern bindenden Schwur bei der Eheschließung. Wenn Ihr etwas weniger eigensinnig und widerspenstig wäret, dann wären wir schon längst verheiratet.”
Insgeheim dankte Lydia Gott dafür, dass es noch nicht zu der Hochzeit gekommen war. Jetzt konnte sie Sir Arthur nie mehr heiraten, und auch ihre Mutter würde nicht mehr darauf bestehen, ganz gleich, welcher Skandal damit hervorgerufen würde. Doch im Augenblick musste sie noch gute Miene zum bösen Spiel machen. “Warum wollt Ihr mich eigentlich zur Frau nehmen?” erkundigte sie sich scheinbar interessiert. “Ihr liebt mich doch gar nicht.”
“Liebe ist ein merkwürdiges Ding”, erwiderte Sir Arthur salbungsvoll. “Sie kommt und geht wie das Wetter.”
“Nein, das tut sie nicht”, versetzte sie ärgerlich. “Wahre Liebe ist dauerhaft und nicht wankelmütig.”
“Oh, ich bin außerordentlich erleichtert, das zu hören, denn ich wäre sehr besorgt, wenn die Beständigkeit meiner Braut infrage gestellt werden würde.”
Lydia hatte das Gefühl, als spiele Sir Arthur mit ihr wie mit einem Fisch an der Angel. So viel sie auch zog und kämpfte, am Ende würde er sie doch an Land ziehen. So schwieg sie also lieber und dachte stattdessen an Ralph. Lieber Gott, flehte sie lautlos, lass ihn nicht in den Wald gehen. Ich will nicht, dass er getötet wird, weder von Freddie noch von einem anderen. Lieber will ich selbst sterben.
Sir Arthur ergriff, immer noch lächelnd, ihre Hand. Sie entzog sie ihm nicht, obwohl sich alles in ihr gegen diese Berührung sträubte. Es war wohl besser, in Ruhe anzuhören, was er ihr zu sagen hatte. Dann konnte sie die Zwangslage besser einschätzen, in der sie steckte.
“Nun, Lydia, meine Liebe, lasst uns aufhören mit dem Wortgefecht und zum Kern der Sache kommen. Ihr werdet mich demnächst heiraten …”
“Immer noch?”
“Ich kann mich nicht erinnern, dass ich unsere Verlobung gelöst habe, meine Verehrteste. Und Ihr werdet es auch nicht tun. Denn wenn sich herumspricht, dass Ihr mir in dieser Kostümierung mitten in der Nacht einen Besuch abgestattet habt, so wird das Euerm Ruf nicht förderlich sein.”
“Und wenn herauskommt, dass Ihr ein Schmuggler seid und, Gott weiß, was noch, kommt Ihr ins Gefängnis, und niemand wird es mir verübeln, dass ich die Hochzeit absage.”
“Ah, aber wer wird denn dafür sorgen, dass diese Mitteilung unter die Leute kommt? Ihr sicherlich nicht, denn in diesem Falle würde Master Frederick hängen.”
Entsetzt griff sich Lydia an das Herz. “Nein!”
“Oh doch, meine Liebe.”
Unvermittelt begann der Comte, amüsiert zu kichern.
“Ich weiß nicht, was an dieser Sache so vergnüglich sein soll”, fuhr sie ihn an.
“Ah, was seid Ihr nur für eine Unschuld, Miss Fostyn”, erwiderte der Comte. “Es ist
vraiment
bedauerlick, dass Ihr die harten Wahrheiten des realen Lebens kennenlernen müsst. Leider ist es
inévitable
.”
“Sei so freundlich und halte den Mund, Antoine”, sagte Sir Arthur ungewöhnlich sanft und wandte sich dann wieder an Lydia. “Er hat recht. Die Wahrheit ist oft unangenehm, aber sie bleibt nichtsdestoweniger die Wahrheit und muss geschluckt werden. Euer Bruder ist ein Mörder.”
“Nein, das ist er nicht.”
“Und was ist dann das hier?” Er zog das ominöse Päckchen aus seiner Rocktasche und hielt es ihr unter die Nase, bevor er es dem Comte zuwarf.
“Das hat mit Freddie
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