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Ballnacht in Colston Hall

Ballnacht in Colston Hall

Titel: Ballnacht in Colston Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Nichols
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Disput.
    “Lasst sie gehen”, erwiderte Freddie anstelle von Joe. “Sie wird nichts verraten. Sie will ihn ebenso gern aus der Welt schaffen wie wir. Stimmt’s, Schwesterchen?”
    Lydia nickte wortlos. Noch immer wagte sie nicht zu sprechen.
    “Na, da bin ich mir nicht so sicher”, erklärte der mit Joe Angesprochene. “Ich denke, wir sollten sie lieber im Auge behalten, bis alles vorüber ist.”
    “Nein, lasst sie gehen. Seht ihr denn nicht, wie verängstigt sie ist?” In der Tat stand Lydia der kalte Angstschweiß auf der Stirn.
    “Kann ich nicht machen. Muss erst den Sir fragen. Hat vielleicht etwas anderes mit ihr vor.”
    Nach diesen Worten verlor Freddie, der sich mit allen Kräften bemüht hatte, ruhig zu bleiben, endgültig die Geduld. Er packte seine Schwester und zerrte sie aus dem Karren. Lydia versuchte indes vergebens, neben ihm stehen zu bleiben. Ihre Beine waren durch die Fesseln abgestorben, und so sank sie kraftlos zu Boden. Freddie zog sie wieder empor. “Zum Teufel, lasst sie doch gehen! Sie wird kein Wort sagen, denn sie will, dass ich nach Hause zurückkomme, und weiß, dass es keinen anderen Weg dafür gibt. Und sie ist doch fast noch ein Kind.”
    “Das Kind ist offensichtlich alt genug, um sich Männerkleider anzuziehen und uns auszukundschaften.” Joe ergriff Lydias Schulter und riss sie daran aus Freddies Händen. Sie kam sich vor wie eine Puppe, um die sich zwei Kinder stritten. “Habe ich nicht recht, Miss?”
    “Nicht kundschaften”, flüsterte sie. “Ich wollte nur dabei sein …”
    Der Mann lachte und löste die Stricke. Lydia rieb sich die schmerzenden Handgelenke, wagte aber nicht, sich zu rühren. Als der Strick endlich auch die Hüfte frei gab, zeichnete sich eine deutliche Ausbuchtung in der Tasche des Wamses ab. “Ach, und was ist das hier? Ein Schießeisen?” Bevor Lydia widersprechen konnte, hatte Joe in die Tasche gegriffen und das ominöse Päckchen herausgezogen. Er schnalzte mit der Zunge. “Nein, keine Kanone. Etwas viel Interessanteres.”
    Verzweifelt sah sich Lydia nach einer Fluchtmöglichkeit um, während Joe das Päckchen auswickelte. Doch der andere Mann schien ihre Gedanken erraten zu haben und ergriff ihren Arm.
    Die Landkarte, die vom Salzwasser durchweichten Dokumente und die im Mondlicht schimmernden Steine lagen jetzt auf Joes Hand. Er hob den Kopf, und in seinen Augen lag dabei ein Ausdruck, der Lydia eine Welle von Entsetzen durch den Körper jagte.
    “Wo hast du das her?”
    “Ich habe es gefunden.”
    “Du lügst.”
    “Nein, es ist die Wahrheit.” Lydia warf Freddie einen flehenden Blick zu, doch dieser starrte wie gebannt auf die Gegenstände in Joes Hand.
    “Wo ist Gaston?”, drängte Joe.
    “Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.”
    “Lass sie gehen!” Freddies Stimme war die Niedergeschlagenheit deutlich anzuhören. “Ich bürge für sie.”
    “Und wer bürgt für dich?”
    “Wie meinst du das?” Selbst in dem dürftigen Licht war zu erkennen, dass Freddie erblasste.
    “Ich meine, es sieht so aus, als hättest du Gaston aus dem Weg geräumt, um dir das hier anzueignen.” Joe nahm einen der Steine vorsichtig zwischen Zeigefinger und Daumen und hielt ihn in das Mondlicht. Er schien wie von innen her zu leuchten. “Was für ein Vermögen! Es lohnt sich, deswegen zu töten. Hast sie der kleinen Schwester gegeben, nicht wahr? Und ihr gesagt, sie soll gut auf die Dinger aufpassen.”
    “Nein, ich habe gar nicht gewusst, dass Lydia das Päckchen hat. Du hast es gefunden, so ist es doch, nicht wahr?”
    “Ja, am Strand.”
    “Nun, das gibt der ganzen Sache ein anderes Aussehen. In den Karren mit euch beiden.”
    “Nein, lasst sie gehen!” Freddie war am Rande der Verzweiflung. “Ich komme mit, wenn ihr sie gehen lasst.”
    “Du kommst ohnehin in jedem Falle mit.” Wie ein Blitz aus heiterem Himmel holte Joe aus und traf Freddie am Kinn, der wie ein Sack zu Boden fiel. Dann wandte er sich an den anderen Mann. “Pack ihn auf den Karren. Wir holen den Rest der Waren später und kümmern uns dann selbst um die Angelegenheit.”
    Wieder wurde Lydia gefesselt, diesmal mit den Händen auf den Rücken. Joe legte sie neben den Bruder, der noch nicht wieder zu sich gekommen war, und der Karren setzte sich in Bewegung. Wo bringen sie uns hin, und was wird dann aus uns, dachte Lydia angstvoll. Was soll aus Mama werden, wenn sie uns beide umbringen? Und aus Annabelle? Und aus John? Wenn doch nur Ralph Latimer kommen würde! Sie

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