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Ballnacht in Colston Hall

Ballnacht in Colston Hall

Titel: Ballnacht in Colston Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Nichols
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Er musste unbedingt die Wahrheit wissen. Schließlich konnte er nicht gut Mrs Fostyn danach fragen, obwohl sie die Einzige war, die eine zutreffende Antwort geben konnte. Vielleicht hatte der Vater Tagebücher oder andere Aufzeichnungen hinterlassen, die bis jetzt noch nicht ans Tageslicht gekommen waren. Gleich morgen sollte eine eingehende Suche danach beginnen.
    Zu Hause angelangt, schickte er seinen Diener zu Bett, legte den schwarzen Anzug ab und zog sich einen Morgenmantel über. Dann ging er zum Fenster, schob die Gardine zurück und blickte hinaus in die nachtdunkle Landschaft. Das war seine Heimat, und für die Menschen, die hier wohnten, trug er die Verantwortung. Das bedeutete, jedem Beistand zu leisten und Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Das war nicht leicht mit Lydia Fostyn in nur einer Meile Entfernung. Ach, zum Teufel mit allen Fostyns und insbesondere mit Miss Lydia!
    Was hatte er von den Offizieren in Indien gehört? Angriff sei die beste Verteidigung. Wenn er die Gerüchte zum Schweigen bringen und in Frieden leben wollte, musste er irgendetwas unternehmen. Aber während er sich bemühte, etwas Sinnvolles ausfindig zu machen, irrten seine Gedanken immer wieder zu Miss Fostyn und ihrer Verlobung mit Sir Arthur.
    Der Mann war zweimal so alt wie seine Braut und auch nicht besonders ansehnlich, denn er war zu dick. Seine Augen waren farblos, und seine weibisch hohe Stimme tat den Ohren weh. Ralph konnte nicht begreifen, dass sich Lydia hatte dazu überreden lassen, Sir Arthur zu heiraten. Ja, er war reich – das Haus und seine Einrichtung bewiesen es –, aber war Reichtum wirklich genug für ein junges hübsches Mädchen, das zweifellos einen attraktiveren Mann finden konnte. Lächelnd schüttelte Ralph den Kopf. Was Reichtum anbelangte, so konnte der Earl of Blackwater mit Sir Thomas-Smith mühelos konkurrieren, ja, ihn sogar bei Weitem übertreffen, und Colston Hall war mindestens ebenso elegant wie das protzige Haus an der Straße nach Southminster.
    Die Renovierung war nahezu beendet und alles nun wieder in demselben untadeligen und eleganten Zustand wie zu jener Zeit, als der Vater seine junge Braut heimgeführt hatte. Das Herrenhaus konnte sich sehen lassen, und er würde es den Leuten auch zeigen. Er würde eine große Gesellschaft geben, am besten einen Maskenball, mit auserlesenen Speisen, einem großen Orchester und zum Abschluss einem grandiosen Feuerwerk. Jeder, der Rang und Namen hatte, sollte eine Einladung erhalten, auch die Fostyns, und alle Welt könnte sehen, dass er den Gerüchten nicht glaubte und gegen niemanden Groll hegte. Vielleicht würde er sogar Mrs Fostyn bitten, die Rolle der Hausfrau zu übernehmen. Oh, es war eine großartige Idee!
    Immer noch lächelnd kleidete Ralph sich aus und ging zu Bett. Ja, er würde Miss Fostyn zeigen, welchen schrecklichen Fehler sie gemacht hatte, als sie auf Sir Arthurs Werbung einging. Es gab andere ansehnlichere Männer, die weitaus mehr zu bieten hatten. Nicht, dass er selbst um ihre Hand anhalten wollte. Auch Vergebung und Nachsicht hatten schließlich ihre Grenzen.
    Innerhalb weniger Minuten war er eingeschlafen, doch sein Traum war erfüllt von den Farben, dem Geruch und dem Lärm eines indischen Basars. Ein dicker, bärtiger Mann, der ihm irgendwie bekannt vorkam, redete halblaut auf einen der Händler ein, der nur wortlos nickte und zum Schluss dem Käufer einen Beutel mit Gewürzen in die Hand drückte. Der Europäer zahlte und ging. Kurz darauf packte der Inder seine Waren zusammen, räumte seinen Stand ab und verschwand spurlos in der Menge.
    Nun verblasste das Bild von dem Basar und wurde von einem Ballsaal ersetzt, erfüllt von tanzenden Paaren und unter ihnen Lydia Fostyn. Selbst im Traum spürte Ralph das heftige Verlangen, das Mädchen in die Arme zu nehmen, ihren Körper eng an den seinen zu drücken. Doch als er die Hände nach ihr ausstrecken wollte, zerging das schöne Bild wie ein Nebelhauch, und Ralph erwachte von den Sonnenstrahlen eines neuen Tages, die durch sein Fenster fielen.
    Nur eine Viertelmeile entfernt öffnete Lydia zur selben Zeit die Augen, als Janet die Gardinen zur Seite zog. Ein verführerischer Duft nach heißer Schokolade erfüllte den Raum, aber in Lydias Kopf hämmerte ein boshafter kleiner Mann, und ein flaues Gefühl im Magen verdarb ihr den Appetit auf das Frühstück. Das kommt vom Champagner, dachte sie seufzend.
    “Wie spät ist es denn?”, murmelte sie und schloss rasch wieder die Augen

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