Ballnacht in Colston Hall
vor dem gleißenden Sonnenlicht.
“Gleich halb elf, Miss Lydia. Was wollt Ihr heute anziehen?”
“Ach, zunächst reicht ein Hauskleid. Aber für den Nachmittag musst du das rosa Musselinkleid herauslegen. Wir sollen zum Tee zu Sir Arthur.”
Das Mädchen breitete Lydias weißes Ballkleid über einem Stuhl aus und strich bewundernd über das kostbare Material. “War es nett gestern Abend?” erkundigte sie sich.
“Ja, ja, danke.” Die kurze Antwort sagte dem Mädchen, das seine Herrin von Geburt an kannte, genug, um das Thema zu wechseln. “Und der wundervolle Ring dort”, Janet wies auf den Toilettentisch, “ist wohl ein Geschenk von Sir Arthur? Sind das echte Brillanten?”
“Natürlich.” Lydia fand diese Frage ein wenig unverschämt. “Und der Stein in der Mitte ist ein Smaragd.”
Das Mädchen ging zu der Frisiertoilette und entdeckte nun auch das Collier. “Oh, oh, wie märchenhaft! Darf ich es anfassen?”
“Möchtest du mir nicht erst mein Kleid herauslegen, Janet?”
“Gleich, Miss Lydia.”
Eine Viertelstunde später betrat Lydia das kleine Wohnzimmer, wo die Mutter am Frühstückstisch saß und mit gerunzelter Stirn einen Brief las. “Was hast du da, Mama? Hoffentlich keine Rechnung”, rief Lydia so munter, wie es ihr schmerzender Kopf erlaubte.
Lächelnd hob die Mutter den Kopf. “Nein, keine Rechnung, sondern eine Einladung zum Tee bei Seiner Lordschaft für morgen Nachmittag.”
“Um Himmels willen! Aus welchem Grunde?”
“Dazu schreibt er nichts. Vielleicht nur wegen der guten Nachbarschaft.”
“Nachdem er uns vor die Tür gesetzt hat? Das glaube ich nicht, Mama. Vielleicht will er sich nur vergewissern, dass wir auch wirklich ausziehen.”
“Dazu müsste er uns nicht zum Tee einladen.”
“Uns?”
“Die Einladung bezieht sich auch auf dich.”
“Ich kann mir nicht vorstellen, was ich bei ihm zum Tee soll. Es sei denn, er will sich an meinem Abstieg weiden.”
“An deinem Abstieg? Hast du irgendetwas angestellt?”
“Ja, ich habe mich verlobt.”
“Aber das ist doch kein Abstieg!” Entrüstet schüttelte die Mutter den Kopf. “Im Gegenteil – es ist ein Triumph.”
“Ja, ja”, seufzte Lydia. “Aber Seine Lordschaft ist nicht erfreut darüber.”
“So? Wann hat er dir denn das gesagt?”, fragte die Mutter misstrauisch.
“Gestern Abend.”
“Nun, dann ist er wahrscheinlich ärgerlich, dass dich ein anderer vor seiner Nase weggeschnappt hat.”
Nein, was für eine lächerliche Vorstellung! Lydia lachte, bis ihr die Tränen in den Augen standen. “Oh, Mama, du sagst wirklich die seltsamsten Dinge”, japste sie, nach Atem ringend. “Er hasst mich doch genauso wie ich ihn, und deshalb denke ich gar nicht daran, zu ihm zum Tee zu gehen. Er glaubt dann vielleicht, er kann mir befehlen, wie und wo ich zu kommen und zu gehen habe.”
“Lydia, es ist eine sehr höfliche Einladung und kein Befehl.”
“Heißt das, du willst hingehen?”
“Warum nicht?” Die Mutter lächelte verschmitzt. “Ich muss gestehen, dass ich ein wenig neugierig bin. Du nicht auch?”
“Vielleicht – ein kleines bisschen.”
“Dann kommst du also mit?”
Lydia strich der Mutter zärtlich über den Handrücken. “Ich kann dich doch nicht allein in die Höhle des Löwen gehen lassen.”
“Sehr gut”, erwiderte Mrs Fostyn mit zufriedener Miene. “Und nun vergiss nicht, dass wir heute Nachmittag Sir Arthur einen Besuch abstatten, damit du seine Töchter kennenlernst.”
“Das habe ich schon nicht vergessen.” Seufzend griff Lydia nach dem Brotkorb.
Kurz darauf erschienen auch Annabelle und John am Frühstückstisch. Annabelle war immer noch verärgert, dass sie den Ball verlassen musste just in dem Augenblick, da sie hoffen konnte, Lord und Lady Baverstock würden wieder einlenken. Sie hatte nicht einmal Zeit gehabt, sich von Peregrine zu verabschieden, und wusste nun nicht, wann sie ihn wiedersehen würde. Ach, es war wirklich zu ungerecht gewesen! Aber Mutter und Schwester waren zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, um ihrem Gejammere die erhoffte Aufmerksamkeit zu schenken.
Am Nachmittag hielt sich Lydia so lange beim Ankleiden auf, bis die Mutter ungeduldig nach ihr rief und Partridge, der bereits vor zehn Minuten mit der alten Kutsche vorgefahren war, zum wiederholten Male mit der Peitsche knallte. Seufzend legte Lydia einen Umhang aus grauer Wolle über und steckte die Geschenke für die Kinder in einen gestickten Beutel.
Sir Arthur war
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