Ballnacht in Colston Hall
Wie grotesk!” Ihr Lachen sollte Vergnügen über diesen vermeintlichen Unsinn bezeugen, doch es war zu gezwungen, um Ralph täuschen zu können. Lydia erkannte ihren Fehler und nahm rasch Zuflucht zu Unmut. “Eine solche Unterstellung ist eine Beleidigung, Mylord. Aber was ist von Euch schon anderes zu erwarten. Ihr wollt meinen guten Namen ebenso beschmutzen, wie Ihr Freddies Namen beschmutzt habt.”
Ralph Latimer runzelte die Stirn, beharrte aber auf seinem Standpunkt. “Lydia, wenn Ihr schon zu tief darin verstrickt seid, um Euch aus eigenen Kräften befreien zu können, so vertraut Euch mir an”, sagte er eindringlich. “Ich kann einen Ausweg finden. Trotz Eurer Feindseligkeit werde ich alles tun, um Euch zu helfen.”
Es ist merkwürdig, dachte Lydia. Immer wenn ich meine Stimme im Zorn erhebe, mildert er die seine und nimmt damit meinem Ärger die Hitzigkeit. Es bedarf dann unsagbarer Anstrengung, um meine Feindschaft aufrechtzuerhalten. Doch ich muss es tun. Wenn ich nur einen Schritt zurückweiche, werde ich ertrinken wie im Moor, wenn ich den Weg verlasse.
“Ich weiß nicht, was Ihr meint, Mylord”, erwiderte sie kalt. “Ich brauche keine Hilfe. Aber selbst wenn ich sie brauchte, so würde ich mich nicht an Euch, sondern an Sir Arthur wenden.”
“Selbstverständlich. Ich wünsche Euch einen guten Tag, Miss Fostyn.”
Eine kurze Verbeugung, die Lydia nur mit einem Neigen des Kopfes beantwortete, und der Earl of Blackwater war gegangen. Aufgebracht blickte sie ihm nach. Oh, jedes Wort von ihm war mit Bedacht gewählt, um sie zu ärgern und zu diffamieren. Was ging ihn eigentlich ihr Tun und Lassen an? Was wusste er? Hatte er etwa Kenntnis von dem Päckchen, das immer noch wohlverwahrt in der Truhe lag? Aber nein, dann hätte er sie am selben Tag deshalb angesprochen und nicht erst heute.
Plötzlich fiel ihr das große Fenster auf der halben Treppe in Colston Hall ein. Aber den Strand konnte man doch von dort aus nicht sehen, und ein Mensch wäre auf diese Entfernung auch nicht zu erkennen gewesen. Warum bot er ihr dann Hilfe an, die sie sowieso nicht annehmen würde – um keinen Preis. Lieber würde sie sich an den Höllenfürst persönlich wenden.
In diesem Augenblick kehrte die Mutter zurück und machte von ihrer Überraschung über das plötzliche Verschwinden des Besuchers keinen Hehl. “Wo ist denn Seine Lordschaft?”
“Gegangen, Mama. Er hatte alles gesagt, was er uns mitteilen wollte, und so gab es keinen Grund, ihn zurückzuhalten.”
“Oh, und ich habe ihm nicht einmal Adieu gesagt! Ich weiß gar nicht, was die Köchin eigentlich von mir wollte. Sie wusste doch, dass sie nicht servieren lassen konnte, solange der Earl bei uns war. Und wir konnten ihn ja auch nicht bitten, zum Essen zu bleiben. Es gibt doch heute nur Hammelkotelett.”
“Ich bin sicher, dass er das auch nicht erwartet hatte.”
“Hast du ihm wenigstens den Regenschirm zurückgegeben?”
“Ach, das habe ich ganz vergessen.”
“Lydia, du wirst auch immer zerstreuter! Aber es gibt wahrscheinlich eine Erklärung dafür. Willst du nicht nach Colston Hall gehen und den Schirm dort abgeben?”
“Nein, nein, auf keinen Fall”, erwiderte Lydia so rasch, dass die Mutter verwundert aufblickte. “Ich meine, wir sehen Seine Lordschaft sicher bei passender Gelegenheit wieder.”
Die Koteletts, die Janet nun auf den Tisch brachte, waren inzwischen zäh geworden, und Lydia stocherte lustlos in dem Essen herum. Das ist alles Ralph Latimers Schuld, sagte sie sich, um ihren Ärger wieder anzustacheln. Wenn er nicht zu einer Zeit gekommen wäre, von der jeder, der einigermaßen bei Verstand war, wusste, dass die Leute beim Mittagstisch saßen, wäre das Hammelfleisch noch essbar. Und wenn er sie nicht zu allem Überfluss noch mit unsinnigen Anschuldigungen überschüttet hätte, wäre ihr nicht der Appetit vergangen.
Aber auch Annabelle schien es nicht geschmeckt zu haben. Sie schob ihren Teller zur Seite und sagte: “Du solltest die Köchin entlassen, Mama. Sie wird immer schlechter.”
Die Mutter schüttelte energisch den Kopf. “Das kommt überhaupt nicht infrage. Sie ist schon so lange bei uns, und heute ist es nicht ihre Schuld. Der Earl kam zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt.”
“Nun, dann wird sie eben gehen müssen, wenn Lydia heiratet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sir Arthur sie behalten wird. Schließlich hat er einen französischen Küchenchef.” Annabelle lachte plötzlich laut auf.
Weitere Kostenlose Bücher