Baltasar Senner 03 - Busspredigt
»… Ihre Glocken.« Er grinste anzüglich. »Obwohl ich nicht weiß, wofür Sie Ihre Glocken brauchen.«
»Es ist genug, Jonas.« Marlies befreite sich aus seinem Griff. »Mach mal Pause, der Tag ist noch lang.«
»Hören Sie, Hochwürden, was meine Marlies sagt? Ich soll Pause machen, das sagt sie. Dabei bin ich stocknüchtern. Noch.«
»Marlies hat recht, wir sollten es langsam angehen«, sagte Valentin.
»Hören Sie sich das an, Hochwürden. Jetzt fällt mir mein Kumpel in den Rücken. Er hält zu den Frauen. Trinken wir lieber noch was, Valentin, auf die Glocken vom Herrn Pfarrer.« Er hob wieder die Flasche.
»Eigentlich wollten wir tatsächlich nicht kommen, das ist nicht unser Ding«, sagte Valentin Moser. »Aber Sie haben mitgeholfen, dass ich freikomme, dafür bin ich Ihnen dankbar. Wir werden auch ein paar Lose kaufen.«
»Sogar ein paar Lehrer von uns sind da«, sagte Marlies. »Dass die extra aus Zwiesel wegen so was kommen! Nicht falsch verstehen, Herr Senner, aber das hier ist ja keine Pflichtveranstaltung.«
»Vielleicht war es das schlechte Gewissen. Diese drei Lehrer waren auf der Beerdigung von Anton Graf. Er wohnte direkt dort drüben.« Baltasar zeigte auf das Nachbarhaus.
»Echt? Ein Totenhaus? Vielleicht eine neue Folge von Halloween?« Marlies schüttelte sich. »Ob da im Keller eine vertrocknete Mumie liegt?«
»Geil! Eine Mörderbude, so was sieht man sonst nur im Fernsehen!« Jonas gestikulierte wild herum, die Bierflasche entglitt ihm und rollte über den Weg. »Upps, jetzt ist sie weg, wir müssen uns gleich mit neuem Stoff versorgen. Sagen Sie mal, Herr Pfarrer, machen Sie eine Führung durch das Totenhaus? Wenn Sie dabei sind, würde sich sogar Marlies trauen mitzukommen.«
»Eine Führung, klasse!« Valentin schien begeistert. »Voll der Grusel, alles live.«
»Ihr habt sie ja nicht alle.« Marlies war aufgestanden. »Ich jedenfalls brauch jetzt was zum Essen. Wer kommt mit?«
Jonas und Valentin erhoben sich ebenfalls.
»Also gut, stürzen wir uns ins Getümmel und schauen wir uns um«, sagte Valentin. »Das ist mindestens so krass wie das Geisterhaus.«
Baltasar ging hinüber zum Stand seiner polnischen Gäste. »Wo ist Karol?«, fragte er.
»Bier holen.« Diese Worte hatte Jana offenbar schon gelernt.
»Wie laufen die Geschäfte?« Er deutete auf die Wurzelsepps. Sie machte in Zeichensprache klar, dass sie bereits ein Exemplar verkauft hatte, und zeigte ihm stolz den Geldschein.
»Da ist ja unser Pfarrer!« Es war die Stimme des Bürgermeisters. »Herr Senner, haben Sie einen Moment Zeit?«
Neben Wohlrab standen zwei Männer in Anzügen, er stellte sie als Vertreter der Investoren vor.
»Diese beiden Herren wollen für ihren Abschlussbericht die Infrastruktur des Ortes überprüfen, eben diese Sachen, die abgesehen von Grundstücken und Bauplänen auch wichtig sind.«
»Wissen Sie, Herr Pfarrer, unsere Seniorenresidenz ist für eine besondere Kundschaft gedacht. Die zahlt Premiumpreise und erwartet dafür natürlich auch einen Premiumservice und eine Premiumumgebung.« Die Stimme des Anzugträgers lief warm wie ein Dieselmotor.
»Unsere Ansprüche sind hoch«, kam ihm der zweite Anzugträger zu Hilfe. »Heutzutage sind bei einem Investment die Soft Facts genauso wichtig wie die nackten Zahlen. Und diese weichen Faktoren checken wir jetzt vor Ort. Wie ist die Verkehrsanbindung …«
»Sie werden es kaum glauben, aber es gibt bereits Straßen und Autos im Bayerischen Wald.« Baltasar ließ die Ironie durchklingen.
»Ach, was?« Der Mann schaute einen Moment verwirrt. »Ach so, Sie belieben zu scherzen, das ist sehr komisch, ha, ha. Doch zurück zu den Soft Facts. Sauberes Wasser, unbeschädigter Wald, Geschäfte des täglichen Bedarfs in der Nähe, die Kirche und den Friedhof nicht zu vergessen.«
»Und natürlich ist der Mikrokosmos wichtig«, sagte der andere.
»Was meinen Sie damit? Welche Insekten bei uns auf der Wiese krabbeln?«
»Nicht ganz, Herr Pfarrer. Die Frage ist, ob die Wohnstruktur intakt ist, ob die Leute hier freundlich sind und ohne Neid, ob hier sozial auffällige Elemente hausen oder nicht, kurz, ob sich ältere Menschen hier wohlfühlen können und keine Angst haben müssen, angepöbelt oder erschreckt zu werden. Aber so viel kann ich Ihnen schon sagen: Mir gefällt es hier. In dieser Gemeinde ist die Welt noch in Ordnung, gewissermaßen das Beste des Bayerischen Waldes in einem Ort. Ein Best of.«
»Unser Herr Senner hat sich bereit
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