Baltasar Senner 03 - Busspredigt
raten, einen ordentlichen Schluck zu nehmen, um den Geschmack des Bieres genießen zu können, dann hörte er die norddeutsche Aussprache und ließ es bleiben.
Er setzte sich an einen Ecktisch und studierte die Speisekarte. Eigentlich konnte er sich ein Essen gar nicht leisten, er hatte sich vorgenommen, von seinem Gehalt so viel wie möglich für die Kirchturmrenovierung zurückzulegen. Aber seine Kindheit meldete sich, das Spielen im Feinkostenladen seines Vaters, die Lehrstunden, die er dem kleinen Baltasar erteilt hatte, wie man gute Würste von mittelmäßigen unterscheiden konnte, was das Besondere von Gelees ausmachte oder wie man die Frische von Obst und Gemüse feststellte. Und über allem die Mahnung seines Vaters: Iss nur, was dir wirklich schmeckt.
Er entschied sich für ein neues Gericht auf der Karte, einen Jägerbraten indonesischer Art mit Wok-Gemüse und glasierten Kartoffelröllchen. Dazu passte ein Silvaner aus Würzburg.
»Schon was gefunden?« Victoria Stowasser lächelte ihn an. Sie hatte eine Seite ihres Haares hinters Ohr geschoben. Ihre Schürze war in der Mitte gebunden, was ihre Hüften betonte, wie Baltasar registrierte. Er überlegte, ob er ihr ein Kompliment machen sollte, unterließ es aber aus Angst, es könnte falsch aufgefasst werden. Er gab seine Bestellung auf und bat sie, sich zu ihm zu setzen. Sie sprachen über seinen Unfall und den Mord an Anton Graf. Er erzählte von dem letzten Zusammentreffen und seinem Plan, selbst einen Beitrag zur Aufklärung zu leisten.
»Seien Sie bloß vorsichtig, Herr Senner. Immerhin läuft der Mörder noch frei herum und wird es vermutlich nicht lustig finden, wenn ihm jemand in die Quere kommt.«
»Nett, dass Sie sich um mich Sorgen machen. Ich passe schon auf mich auf.«
»Ich würde ungern einen meiner Stammgäste verlieren.« Sie lachte.
»Übrigens, gehen die Geschäfte wieder besser?«
»Sie sehen es ja selbst, nichts los. Und ich glaube, das liegt nicht nur an meinen exotischen Speisekreationen. Sondern es kommen weniger Urlauber in den Ort, und die Einheimischen teilen sich ihre Haushaltskasse genau ein. Die bleiben lieber daheim und kochen selbst, statt auszugehen.«
»Das ist lediglich eine Episode, Flauten sind normal. Ihr Essen ist einfach himmlisch.«
»Das mag schon sein. Aber ich bin nicht der Typ, der nur allein auf die Hoffnung baut.«
»Wie ich Sie kenne, haben Sie etwas vor.«
»Erraten. Ich überlege, ob ich’s mit Übernachtungen probieren soll. Im Obergeschoss gibt es einige Räume, die ich nicht nutze. Mein Vorgänger hatte das Gasthaus mit Zimmervermietung betrieben. Könnte also funktionieren.«
»Einfach wird das nicht. Dazu braucht es Werbung, um Ihr Angebot bekannt zu machen, und Investitionen für die Ausstattung der Zimmer. Außerdem – liegt Ihnen das frühe Aufstehen? Die Gäste brauchen nämlich ein Frühstück.«
»Ich hab noch die Sachen meines Vorgängers eingelagert, zur Not kaufe ich was Neues. Die Ausgaben halten sich in Grenzen. Nur das Aufstehen … Zusätzliche Arbeit wird’s sicher, ich kann mir keinen Festangestellten leisten, allenfalls Aushilfen.«
Nach dem Essen hatte Baltasar keine Lust, sofort zurück ins Pfarrheim zu gehen, stattdessen lenkte er sein Fahrrad wieder mal zum Haus seines Freundes Philipp Vallerot.
»Meine Überwachungssensoren haben dich bereits gemeldet«, begrüßte Philipp ihn. »Komm rein.«
Im Wohnzimmer stand ein Fernseher mit Flachbildschirm, wuchtig wie eine Plakatwand. »Meine neueste Errungenschaft.«
Eine Szene aus Tarzan lief gerade, Hauptdarsteller Johnny Weissmüller stieß seinen berühmten Ruf aus.
»Die Lautsprecheranlage habe ich auch ausgewechselt. Willst du mal hören?« Er drückte einen Knopf der Fernbedienung, und sofort fühlte Baltasar sich wie in ein Klangbad getaucht, die Stimmen der Schauspieler, die Hintergrundgeräusche, alles erschien überdimensioniert. Er machte ein Zeichen, den Ton wieder abzuschalten.
»Wow, das reinigt die Gehörgänge. Dagegen klingt jedes Rockkonzert wie mit Wattestöpseln im Ohr«, sagte Baltasar. »Ich frage mich, wie die Menschheit früher ohne solche Soundkanonen ausgekommen ist.«
»Das Arrangement wirkt noch lange nicht wie im Kino, ist aber immerhin schon eine kleine Version davon.«
»Selbst wenn du die Wände deines Hauses durchbrichst und einen noch größeren Bildschirm installierst – wobei ich bezweifle, dass Derartiges momentan auf dem Markt zu haben ist –, die Atmosphäre eines Kinosaales
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