Baltasar Senner 03 - Busspredigt
wirst du damit nicht erreichen.«
»Stimmt schon, es ist ein Kompromiss. Aber welches Kino macht um zwei Uhr morgens auf, wenn mir gerade danach ist, einen bestimmten Film sehen zu wollen, sagen wir, ›Die Nacht des Jägers‹?«
»Deine Technikbegeisterung, die brauche ich jetzt.« Baltasar gab Philipp das Mobiltelefon. »Da sind Aufnahmen von einem Glassplitter drauf. Ich befürchte, das Meiste ist verwackelt und unscharf. Das musst du irgendwie korrigieren, ich brauche ordentliche Fotos.«
»Was interessiert dich denn an einem Stück Glas?«
»Ich weiß auch nicht. Einfach ein Gefühl. Mir erscheint das Ding reichlich seltsam, vielleicht ist es ein erster Ansatzpunkt, Anton Grafs Tod aufzuklären. Denn mit diesem Teil wurde er ermordet.«
»Vermute ich richtig? Du hast die Bilder mittels krummer Touren geschossen? Hoffentlich stecken sie mich deswegen nicht in den Knast.« Sein Freund grinste. »Na, dann werfe ich mal den Computer an.«
Es dauerte eine knappe halbe Stunde, bis das Ergebnis am Monitor zu sehen war. »Ganz passabel. Ich mache dir Ausdrucke. Der Splitter ist wirklich seltsam, einerseits wirkt die Form wie zufällig, andererseits fallen die Kanten sehr unterschiedlich aus.«
»Was glaubst du, was könnte es sein?«
»Vielleicht Industrieabfall einer Glasfabrik. Oder von einer Glaserei. Dir wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als einige Firmen abzuklappern. Ich versuche im Internet Hinweise zu finden, aber ob ich fündig werde? Da fehlt mir der Glaube.«
»Das war schon immer dein Problem. Ein wenig mehr Glaube, und dein Leben wäre einfacher.«
»Ich glaube schon, nur nicht an deinen Großen Außerirdischen. Oder an deine Kirchenverwaltung und den Oberaufseher in Rom. Ich glaube an die Menschheit und den gesunden Menschenverstand. Obwohl ich selbst da manchmal Zweifel habe, wenn ich mir einzelne Exemplare dieser Spezies anschaue. Was macht deine Renovierung?«
Baltasar berichtete von der Idee des Spendenaufrufes.
»Auch wenn du nicht an den lieben Gott glaubst, so würde ich doch deinen Scheck nehmen. Und dir wird es bestimmt nicht schaden, wie du weißt, konnte man sich im Mittelalter mit guten Gaben von allen Sünden freikaufen.«
»So viel Geld besitze ich nicht, dass es für alle meine Sünden reichen würde.«
»Wenn du beichtest und deine Sünden bereust, erhältst du die Absolution kostenlos. Wobei ich dir bei deiner gottlosen Vergangenheit mindestens 1000 Vaterunser und 1000 Ave-Marias aufbrummen müsste.«
»Das wäre Folter und verstößt gegen die Menschenrechte. Lieber zahle ich freiwillig, um mir diese Quälerei zu ersparen.«
»Fürs Erste würde es schon reichen, wenn du bei Gelegenheit den Kirchturm hochkletterst und Aufnahmen von den Schäden machst. Ich befürchte nämlich, das Thema wird mich noch länger beschäftigen.«
11
D ie Vorbereitungen für die Morgenmesse am nächsten Tag waren abgeschlossen, zum Abendessen war es noch zu früh, und zu Büroarbeiten hatte Baltasar keine Lust. Was tun?
Das war eine der angenehmen Seiten des Priesterberufs: Niemand machte einem Vorschriften, wie man seinen Job zu erledigen hatte. Eine Stunde Mittagsschlaf oder nicht? Es war seine Entscheidung. Sich länger mit dem Frühstück aufhalten? Niemand erhob Einspruch, genau so wenig, wenn man sich selbst früher in den Feierabend schickte.
Gut, es gab Pflichtveranstaltungen, die Gottesdienste beispielsweise. Oder Krankenbesuche, Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen. Aber selbst da war man frei, den Termin zu bestimmen. Welcher Gläubige wagte es schon, einem zu widersprechen, wenn man erklärte, dann und dann eben gerade keine Zeit zu haben, weil andere Verpflichtungen riefen? Kein Vorgesetzter und kein Gemeindemitglied zweifelten solche Behauptungen an, man musste keine Stechuhr bedienen, kurz: Es war alles viel einfacher, als früher die Schule zu schwänzen.
Und auch das blieb ein unbestreitbarer Vorteil als katholischer Pfarrer im Bayerischen Wald: Die Autorität des Amtes war ungebrochen, ein Geistlicher galt als Respektsperson, als jemand, dessen Wort zählte, und dieses ungeschriebene Gesetz herrschte in dieser Region schon seit Hunderten von Jahren, niemand dachte auch nur entfernt daran, das in Frage zu stellen. Ein Pfarrer gehörte zur Tradition wie Schweinsbraten und Bier.
Eigentlich war es ein freier Beruf, wenn nur die lästige Diözese nicht wäre. Baltasar probierte nochmals, Bischof Siebenhaar telefonisch zu erreichen, die Reparatur des Kirchturms konnte
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