Balthazar: Roman (German Edition)

»Ich denke, ich wäre in einer solchen Situation eher eine Last?«
    »Ganz genau. Bleiben Sie einfach auf dem Rücksitz, das wäre gut.«
    Einen Moment lang schwiegen alle; Balthazar lauschte auf das Röhren des Motors. Angst stieg in ihm auf und breitete sich anstelle der Unterhaltung aus. In seinen Gedanken war für nichts anderes mehr Platz als für das maßlose Entsetzen, dass er Skye vielleicht verloren hatte.
    Sei nicht töricht , sagte er sich. Selbst wenn Redgrave Skye in seiner Gewalt hat, und selbst wenn er von ihr getrunken hat, dann hat er sie nicht dabei getötet. Du kannst Skye immer noch retten. Sie ist stark. Egal, was sie durchgemacht hat, sie wird kämpfen, um am Leben zu bleiben.
    Doch der Gedanke tröstete ihn nicht. Wann immer Redgrave in den letzten vier Jahrhunderten versucht hatte, ihm etwas zu nehmen, hatte er Erfolg gehabt. Der aufgestaute Zorn über all die vielen Male, die Redgrave ihm in den vergangenen Jahrhunderten in den Rücken gefallen war, und seine zahllosen Niederlagen brannten in Balthazar und vertrieben schließlich seine Angst.
    Zuvor hatte Balthazar nichts anderes im Sinn gehabt, als Skye wiederzufinden und dafür zu sorgen, dass es ihr gut ginge und sie in Sicherheit wäre. Nun jedoch erkannte er, dass er keine Ruhe finden würde, ehe nicht Redgrave ein für alle Male »richtig« tot wäre.
    Als sie um die nächste Kurve bogen, sagte Craig: »Hier hat Skye früher gewohnt.« Offenbar wollte er mit dieser Bemerkung nur die Stille füllen, aber sie brachte Balthazar auf eine Idee. Mit einem Schlag wusste er, was Skye getan hatte.
    »Zeigen Sie mir, wo genau sie gelebt hat«, sagte Balthazar und bog auf Craigs Anweisung hin ab. Als er das Lenkrad einschlug, sah er schon den schwarzen Kleinbus und die Vampire, die links und rechts neben dem Fahrzeug standen. Und er entdeckte Redgrave.
    Sie sahen benommen aus, als ob sie auf geweihtem Boden stünden. Zweifellos waren sie mit dem Geist in Skyes altem Elternhaus in Berührung gekommen. Und Skye war nicht bei ihnen. Vielleicht hatte sie sich im Innern des Hauses verschanzt.
    Balthazar trat hart auf die Bremse, die Reifen quietschten, und er brachte Craigs Wagen so abrupt zum Stehen, dass er das Getriebe stöhnen hören konnte. »Wenn ich jetzt da hinuntergehe, sehen Sie zu, dass Sie sich in Sicherheit bringen. Wenn die Leute dort Ihnen nachlaufen, dann rennen Sie immer weiter, um die Verfolger abzuschütteln. Sie verlassen die Stadt, den Staat, was immer nötig ist. Verstanden?« Rasch betätigte er den Hebel, sodass der Kofferraum aufsprang.
    Craig setzte an: »Warten Sie eine Sekunde …« Aber Balthazar war bereits ausgestiegen und hatte die Tür zugeknallt.
    Er ging zum Kofferraum und hörte Redgrave sagen: »Du schon wieder?«
    Balthazar nahm die Brechstange heraus, die dort lag, marschierte zu Redgrave und sagte: »Ja. Ich schon wieder«, ehe er Redgrave die Eisenstange mitten ins Gesicht krachen ließ.
    Sofort stürzten sich alle auf ihn, aber keiner der Vampire war bei Kräften. Balthazar hingegen war noch nie zorniger und aufgebrachter gewesen. Nie tödlicher. Er hieb ihnen die Stange in den Magen, den Unterleib, gegen ihre Köpfe, und er wirbelte so wild mit dem Eisen herum, dass keiner an ihn herankam. Nichts hielt ihn jetzt mehr zurück: Es war ihm egal, ob er dabei von Menschen beobachtet wurde, die das alles falsch verstehen würden, er hatte keine Angst davor, gefangen genommen zu werden, er verspürte keinen Anflug von alter Sentimentalität, nichts. Er hätte in diesem Augenblick sogar Charity etwas antun können, wenn sie bei ihnen gewesen wäre. Das Monster in ihm war noch nie so entfesselt gewesen. Anderen Schmerz zuzufügen hatte sich noch nie so gut angefühlt.
    Redgrave taumelte rückwärts und fiel auf die Knie. Durch seine blutigen Lippen hindurch spuckte er aus. »Du weißt … dass du … uns so … nicht … aufhalten wirst. Also … warum … versuchst du es immer wieder … Bruder?«
    »Weil es euch langsamer macht«, sagte Balthazar und vertrieb mit einem mächtigen Hieb einen der anderen Vampire. »Und dann werde ich herausfinden, ob es möglich ist, euch für immer zu töten, indem ich euch mit meinen bloßen Händen den Kopf abreiße. Das habe ich noch nie versucht. Aber weißt du was? Ich wette, dass es funktioniert.«
    Redgrave erhob sich, aber er war jetzt langsamer als ein Mensch, und Balthazar bekam ihn mühelos zu fassen. Als sein Erschaffer in den Schnee fiel und kaum mehr war als ein