Balthazar: Roman (German Edition)
nicht verübeln. Balthazar zwang sich dazu, langsam und deutlich mit ihr zu sprechen. Manchmal verstand Charity nicht, was man ihr sagte, aber dieses Mal … dieses Mal musste sie es einfach begreifen. »Wir verlassen sie. Die Vampire. Wir brechen noch heute Morgen auf. Wir machen uns allein auf den Weg. Nur du und ich.«
Charity zog bestürzt die Augenbrauen zusammen. »Redgrave verlassen?«
»Ja. Charity, das ist unsere Chance. Wir können uns einen Vorsprung verschaffen. Sollen sie doch dem Krieg folgen. Wir gehen unserer eigenen Wege. Vielleicht … vielleicht können wir an irgendeinem Stadtrand bleiben und im Wald Tiere jagen. Niemand wird uns dort behelligen.« Balthazar wusste, dass Charity Menschenblut viel zu sehr liebte, um sich auf Tiere als Nahrung zu beschränken. Aber sicher würde sie sich auf die Flucht mit ihm einlassen, denn es würde bedeuten, dem Mörder und Vergewaltiger, der sie so lange gefangen gehalten hatte, zu entkommen. »Nur wir beide. So wie es immer hätte sein sollen. Du verstehst mich doch, nicht wahr?«
Zögernd nickte Charity.
Balthazar lächelte. Gott sei Dank. Warum hatte er nicht schon viel früher gesehen, wie einfach, wie schnell er ihren Albtraum, der schon viel zu lange währte, beenden konnte? Er hatte keine Ahnung, wo in dieser Welt Wesen wie er und seine Schwester Frieden finden könnten. Sie waren böse, verdammt und kein Teil von Gottes Schöpfung mehr. Aber sie könnten nach einem Platz für sich suchen, oder etwa nicht? Sie könnten es wagen. Gemeinsam könnten sie einen Weg finden, ohne Redgrave zu existieren, ohne Constantia, ohne all das Blutvergießen. Es musste doch möglich sein, dass seine Schwester und er vielleicht doch noch … glücklich werden würden.
Da sagte Charity: »Du willst mich von Redgrave wegbringen?«
»Ja.«
»Weg von ihm. Weg von all dem Blut. Weg von allem.« Charitys Körper bebte nun, ja er zitterte wie bei einem Krampf.
»Charity, hör mir zu.« Balthazar legte ihr die Hände auf die Schultern. »So sollten wir nicht leben. Das weißt du doch, oder? Fühlst du es nicht selbst, tief im Innern?«
Als Charity nickte, löste sich eine Träne aus einem ihrer Augenwinkel. Die glühenden Überreste des Feuers färbten ihre bleichen Wangen. »Ja, ich fühle es. Ich weiß, wie es eigentlich sein sollte. Und ich weiß, wer mich um alles gebracht hat.«
Sie schubste Balthazar von sich weg, und der Stoß war so heftig, dass Balthazar quer durch den Raum taumelte und mit dem Rücken schließlich flach auf dem Steinfußboden landete. Charity marschierte zu ihm, ihre zierlichen Hände zu Fäusten geballt.
»Mit dir mitkommen? Dir vertrauen?« Charity schüttelte den Kopf. »Ganz bestimmt nicht. Dir niemals!«
»Charity …«
Sie griff ins Feuer und zog eine glühende Zange heraus, die zu lange im Feuer gelegen hatte und jetzt im frühen Morgenlicht rot glänzte. Das Metall war kurz vorm Schmelzen und warf einen rosafarbenen Schimmer auf ihr Gesicht mit dem unirdischen Lächeln. »Verschwinde. Hinaus mit dir. Oder ich werde dich eigenhändig köpfen.«
»Komm mit mir«, flehte Balthazar. »Charity, bitte. Dies ist die größte Chance, die wir jemals haben werden.«
»Du hast dich nicht für mich entschieden«, kreischte sie, und Balthazar wusste, dass sie mit dieser Lautstärke zumindest einen der Vampire aufwecken würde.
Also rappelte er sich vom Boden auf, schlang seinen Mantel fester um sich und rannte hinaus in den Schnee, der in seine Stiefel eindrang, sodass ihn ein Kälteschauer durchfuhr. Aber er hastete immer weiter weg vom Gasthaus, weg von Redgrave und Constantia und weg von dem einzigen Leben, das er seit seinem Tod gekannt hatte.
Er hatte noch immer keine Ahnung, was für ein Dasein ein Scheusal wie er erwarten konnte.
Er wusste nur, dass er sich seinen Platz suchen musste – und dass er auf sich allein gestellt sein würde.
7
Balthazar griff in die Innentasche seines langen Mantels und umklammerte den Knochengriff des Messers mit der breiten Klinge, das er dort versteckt trug. Wenn sich die Möglichkeit ergäbe, dann würde es ausreichen, um Redgrave zu köpfen.
Nicht, dass das sehr wahrscheinlich wäre. Redgrave würde wohl kaum in Skyes Haus einbrechen, ohne seine gesamte Bande mitzubringen. Lorenzo, Constantia und die restlichen Vampire, die er seit ihrem letzten Aufeinandertreffen zusammengesucht hatte, würden ihn wohl allesamt begleiten. Und das bedeutete, dass Balthazar unbedingt an seinem Plan festhalten und
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