Balthazar: Roman (German Edition)
Redgraves Lächeln unwiderstehlich gewesen, doch in seinem Gesicht war es eine Bedrohung. »Balthazar geht davon aus, dass ich dich hier nicht angreifen werde, und damit liegt er völlig richtig. Ich habe keineswegs vor, auch nur einen einzigen Tag in einem Staatsgefängnis zu verbringen oder in was für ein armseliges, menschliches Loch ich sonst gesteckt werden würde. Also, wenn du dich unterhalten willst, dann ist dies der richtige Ort.«
»Es gibt nichts, worüber wir uns unterhalten könnten.« Selbst diese Worte auszustoßen fiel Skye schwer; ihr gesamter Körper war kalt und fühlte sich kraftlos an, und sie konnte kaum etwas anderes denken als: Dieser Mann hat gestern versucht, mich umzubringen .
»Das ist Unsinn, meine Liebe. Ich sehe doch, dass du nicht ohne Potenzial bist und den Kern des Übernatürlichen begreifst. Also dachte ich, dass wir vielleicht wie vernunftbegabte Wesen miteinander sprechen und eine Übereinkunft treffen könnten.«
»Eine Übereinkunft?« Skye stieß einen Laut aus, der wie ein missglücktes Lachen klang. »Okay, verschwinde aus dieser Stadt und lass mich in Ruhe, dann werde ich dir auch nicht in die Eier treten.«
Redgrave brach in schallendes Gelächter aus. »Du bist wirklich mutig. Mit dir kann man etwas anfangen.«
Skyes Stimme war nur ein Flüstern, als sie sagte: »Du hast versucht, mich zu töten.«
»Ich denke, wir können einen Kompromiss schließen, wenn du klug genug bist, seinen Wert zu erkennen.« Er drehte sich halb herum und lehnte sich gegen die LyrikTafel. Skye betrachtete ihn und wusste, dass sie ihn in diesem Augenblick auch dann als Vampir erkannt hätte, wenn ihr nicht das Zusammentreffen vom Vortag wieder in den Sinn gekommen wäre. Redgrave war auf dieselbe unheimliche Art elegant und selbstbewusst, die sie von den Schülern der Evernight-Akademie kannte. Rings um sie herum im Café ließen die alles übertönende Lautstärke und das Klavierspiel nicht nach. »Ich muss dich nicht töten, um zu bekommen, was ich will. Und daraus folgt, dass deine beste Chance, am Leben zu bleiben, darin besteht, mir zu geben, was ich verlange.«
Instinktiv wusste Skye, was er meinte: »Mein Blut.«
Redgrave zuckte mit den Schultern. »Die Leute spenden ständig Blut, und warum? Um einen Aufkleber und ein Glas Apfelsaft zu bekommen. Da biete ich dir aber einen besseren Grund.«
»Wenn ich dir auch nur einen Tropfen meines Blutes geben würde, dann würdest du alles nehmen.«
»Dann hätte ich zwar einen sehr vergnüglichen Abend, aber nicht mehr. Wenn du jedoch am Leben bleibst, wenn dein Körper also weiterhin diese wundervolle Flüssigkeit produziert, aufheizt und durch deine Adern pumpt, dann kann ich dein Blut genießen, wann immer es mich danach gelüstet.«
Skye hatte nur eine vage Vorstellung davon, was genau er da vorschlug, aber sie hatte nicht das Gefühl, ein genaueres Bild bekommen zu wollen. »Ich werde auf keinen Fall dein persönlicher Getränkeautomat werden.«
»Bist du denn gar nicht neugierig, Miss – verzeih mir, ich kenne deinen Namen nicht.«
»Weil ich ihn dir nicht gesagt habe.«
Redgrave legte mit einem leichten Lächeln den Kopf schräg, denn er konnte nichts dagegen tun, dass sie ihren Namen verschwieg. In diesem Augenblick sah er so menschlich aus, so klug und freundlich und so atemberaubend schön, dass Skye klar wurde: Ohne Balthazars Warnungen hätte sie Redgrave sofort ihr Vertrauen geschenkt. Und zwar voll und ganz.
Redgrave fuhr fort: »Ein Rätsel in einem Rätsel. Und das meine ich ganz wörtlich. In dir verborgen liegt ein Geheimnis, das es zu ergründen gilt. Wenn man Lorenzo glauben darf, dann hat dein Blut einzigartige Kräfte und Auswirkungen. Willst du denn gar nicht wissen, worin sie genau bestehen? Balthazar kann es dir nicht sagen. Es liegt nicht in seiner Natur, sie zu begreifen. Aber in meiner.« Redgrave beugte sich näher zu ihr, so nahe, dass er sie hätte küssen können. »Nur ich kann dir die Antworten geben, nach denen du suchst. Nur ich kann dir die Grenze zwischen Leben und Tod erklären.«
All die vielen Todesszenen, die Skye im Laufe des letzten Monats durch ihre Visionen miterlebt hatte, stürmten jetzt erneut auf sie ein, aber nur eine einzige setzte sich in ihrem Kopf fest; eine, die sie nicht gesehen hatte, die Skye aber seit mittlerweile beinahe einem Jahr quälte: Dakotas Tod.
Skye fuhr zurück und drehte ihr Gesicht weg. »Es gibt nichts, was ich so dringend brauche, dass ich es von dir
Weitere Kostenlose Bücher