Balthazar: Roman (German Edition)
Evernight-Akademie besucht, sondern sie war auch mit einem Auto aufgewachsen, in dem es spukte. Sie würde alles sofort verstehen.
Skye schob das Telefon wieder in ihren Rucksack und warf Balthazar einen prüfenden Blick zu. Er schien nun noch mehr in seine Gedanken versunken zu sein als vorher, falls das überhaupt möglich war. Der Bus rumpelte und schüttelte Balthazar und Skye ordentlich durch. Skye fragte: »Ist alles okay mit dir?«
»Eigentlich sollte ich dich das fragen.«
Ihre Kehle tat noch immer weh, aber es war jetzt ein dumpfer Schmerz, wie wenn man versucht, Tränen zurückzuhalten. »Ich habe Angst, das ist alles.«
»Das reicht doch.«
»Auf jeden Fall. Aber … mit dir ist doch noch irgendetwas anderes los.«
Es war nicht in Ordnung, so nachzubohren, das wusste sie, aber Balthazar war ganz offensichtlich nicht der Typ, der von sich aus über seine Gefühle sprach. Wenn sie etwas erfahren wollte, blieb nichts anderes übrig, als nachzuhaken.
Balthazar schien sich daran nicht zu stören, aber er dachte lange über eine Antwort nach. »Diese Erinnerungen daran, wie es war, am Leben zu sein, gehören zu den besten, die ich habe. Und zu den schlimmsten. Das alles noch einmal durchzumachen, ist sehr aufwühlend.«
»An was hast du dich denn erinnert?«
Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. »An meinen ersten Kuss.«
»Wirklich?« Das klang eigentlich nicht so traurig, fand Skye, bis ihr dämmerte, wie lange dieser Moment schon zurückliegen musste. »Wann war das?«
»1640.«
Skye versuchte, sich ihren Schreck nicht anmerken zu lassen; sie hatte zwar schon vermutet, dass Balthazar alt war, aber die Jahreszahl aus seinem Mund zu hören, versetzte ihr doch einen Stich. Sie fragte: »Wo?«
»In der Massachusetts-Bay-Kolonie. Unmittelbar am Rand Bostons.«
Es war eine so einfache Antwort, und doch merkte sie an Balthazars zögernder Erwiderung, dass er noch nicht mit vielen Menschen über seine Vergangenheit gesprochen hatte. Sie wollte mehr erfahren, aber sie wollte ihn nicht drängen und das Vertrauen, das er zu ihr hatte, nicht missbrauchen. So fragte sie nur: »Was ist geschehen?«
Balthazar schüttelte den Kopf. »Bei einer Sache kann man sich ganz sicher sein: Die Lebensgeschichte eines Vampirs endet immer schlimm.«
Ohne darüber nachzudenken, lehnte Skye ihren Kopf an Balthazars Schulter. Auf diese Weise suchte sie Trost und spendete gleichzeitig welchen. Doch dabei dachte sie: Damit gehe ich zu weit. Ich sollte nicht so an ihm hängen. Wahrscheinlich fühlt er gar nicht dasselbe wie ich.
Ehe sie sich wieder aufrichten konnte, drückte Balthazar sie mit seinem Arm fester an sich und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. Skye schloss die Augen. Sie fragte sich, warum sie sich weniger verloren fühlte, nur weil es ihm genauso erging. Aber so war es nun mal.
Balthazar brachte sie bis in ihr Schlafzimmer. Während sie müde ihren Rucksack auf dem Boden abstellte, ging er zum Fenster und starrte hinaus in die Dunkelheit. »Ich glaube nicht, dass sie heute Nacht in der Nähe sind. Biancas Geistershow hat gewirkt.«
»Na, das ist doch mal etwas.« Skye gesellte sich zu ihm und rieb sich über ihre schmerzende Kehle. »Vielleicht bekomme ich heute Nacht ja sogar ein bisschen Schlaf. Obwohl ich das bezweifle.«
»Ich könnte hierbleiben, wenn du willst.« Balthazar schaute sie an, und sein Körper – der Körper eines Kampfsportlers – wirkte wie ein Scherenschnitt, so eingerahmt von der Dunkelheit.
»Über Nacht bleiben? Hier in meinem Zimmer?«
»Ja … Oh. Oder unten. Irgendwo. Nur, damit du dich sicherer fühlst.«
»Ich weiß nicht.«
Skye wollte nichts lieber, als dass Balthazar über Nacht blieb. Aber im Moment kam es ihr so vor, als würde sie zu leichtfertig Dinge wagen, die sie später bereuen könnte, nur, um der Angst zu entkommen, die wie ein zweiter Herzschlag in ihr pulsierte.
»Alles klar mit dir?«, fragte Balthazar. Erst da bemerkte sie, dass sie wieder zu zittern begonnen hatte. Sie wusste nicht, ob das von ihrer Furcht kam, von der Anspannung, ihrem Verlangen oder von allem zusammen. Auf jeden Fall konnte sie nur eine begrenzte Menge davon ertragen, und die Obergrenze war zweifellos erreicht.
Sie streckte blindlings eine Hand aus. Balthazar zog Skye an sich und schloss sie in seine Arme. Sie weinte nicht und sprach kein Wort. Stattdessen griff sie nach den Aufschlägen seiner Jacke und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Er hielt sie ganz fest,
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