Balthazar: Roman (German Edition)
anfing zu rennen.
Die Abkürzung – das musste die Senke sein. Keiner der Schüler ging dort lang, wohl deshalb, weil es nicht cool war oder aus einem ähnlichen Grund. Das bedeutete, dass niemand kommen würde, um Skye zu helfen, selbst wenn das noch möglich wäre. Alles hing jetzt von ihm ab.
Als er sich endlich seinen Mantel übergezogen hatte, war er schon die Hälfte des Weges zur Senke hinabgestürmt. Die Kälte spielte keine Rolle, ihm war es völlig egal, wenn er bis auf die Knochen durchfrieren würde. Aber er brauchte freie Hände, falls er ihretwegen würde kämpfen müssen.
Schließlich am Rand der Senke angekommen, war er sich sicher, dass kein anderer Vampir in der Nähe war; er spürte niemanden. Dann entdeckten seine scharfen Augen einen Farbfleck inmitten der Schneewehen ganz in seiner Nähe: das Saphirblau von Skyes Wintermantel.
In diese Richtung rannte Balthazar, denn wegen des Schnees konnte er sich nur nach und nach orientieren. Skye lag ohnmächtig – nicht tot, bitte nicht tot – unmittelbar neben dem Weg am tiefsten Punkt der Senke. Er sah kein Blut und auch kein Anzeichen eines Kampfes. Es war, als ob sie einfach zu Boden gestürzt und ohnmächtig geworden wäre.
Jemand musste hier ganz in der Nähe gestorben sein, und dieser Tod musste schrecklich genug gewesen sein, um Skye zu überwältigen. Balthazar ließ sich auf die Knie sinken, streckte die Hände nach ihr aus und tastete nach dem Puls an ihrer Kehle. Skye war am Leben!
Tiefe Erleichterung stieg in ihm auf, die zwar nicht ausreichte, um seine Furcht zu unterdrücken, aber stark genug war, um ihn zum sofortigen Handeln zu bewegen. Balthazar hob Skye auf und rannte mit ihr auf den Armen, so schnell er konnte, zu seinem Auto. Er musste erreichen, dass sie bei ihm blieb, und er musste sie beschützen.
Skye blieb auf dem ganzen Rückweg ohne Besinnung und wachte auch nicht auf, nachdem Balthazar sie auf sein Bett gelegt und ein Feuer im Kamin angezündet hatte. Aber ihr Atem wurde tiefer und regelmäßiger. Balthazar glaubte, dass sie jetzt nicht mehr ohnmächtig war, sondern dass sie schlief. Vermutlich brauchte ihr Körper die Ruhe. Er zog mühsam seinen schneenassen Mantel aus, holte sein Telefon und rief die Person an, die ihn gewarnt hatte, dass Skye in Gefahr sei.
»Balthazar?« Lucas klang angespannt. »Hast du Skye gefunden?«
»Ja, ich habe sie draußen im Schnee entdeckt. Sie ist nicht angegriffen worden; es war nur wieder eine ihrer Visionen, schätze ich. Skye ist immer noch nicht wieder bei sich, aber ich denke, sie wird okay sein, wenn sie sich aufgewärmt und eine Weile ausgeruht hat.« Balthazar atmete lange und hörbar aus. Nur weil man nicht mehr atmen musste, bedeutete das noch lange nicht, dass man kein Bedürfnis mehr hatte, tief zu seufzen.
»Du klingst ganz schön mitgenommen. Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
»Ich bin mir bei gar nichts mehr sicher. Aber … Skye ist heute ein Risiko eingegangen. Wahrscheinlich meinetwegen, nehme ich an. Wenn sie dabei verletzt worden wäre, oder … wenn irgendetwas Schlimmeres geschehen wäre, dann würde ich die Schuld daran tragen.«
»Mea maxima culpa, was?«
Balthazar runzelte die Stirn. »Seit wann sprichst du denn Latein?«
»Ich war eine Zeit lang Schüler in Evernight, falls du dich daran erinnerst.« Jetzt klang Lucas ziemlich belustigt. »Es ist nur interessant, dass du dich mit solchen Selbstvorwürfen quälst.«
»Ich habe es dir doch schon gesagt: Das alles war meine Schuld.« Während er sprach, schaute er zu Skye hinab, die blass und zerbrechlich auf seinem Bett lag; der Schein des Feuers verlieh ihrem dunklen Haar einen rötlichen Stich.
»Du wirkst, als ob du dir ihretwegen Sorgen machst. Richtige Sorgen. Das alles scheint dich ungemein zu beschäftigen. Läuft da was zwischen euch beiden?« Lucas klang jetzt richtig vergnügt. »Also, wenn du was mit ihr anfängst, dann wird meine Freundin aber ganz schön eifersüchtig sein.«
»Ich lasse mich nicht mit Menschen ein«, sagte Balthazar.
»Die Sache mit Skye klingt aber ganz danach«, erwiderte Lucas. »Und warum keine Menschen? Was stimmt denn mit uns nicht? Im Namen meiner Spezies muss ich dich das wirklich fragen.«
»Es führt nie zu einem guten Ende.« Er dachte an Jane, die auf dem Fußboden der Scheune seiner Eltern lag, nur noch die zugerichtete Hülle des Mädchens, das er viel zu kurze Zeit geliebt hatte. »Es ist gefährlich für einen Sterblichen, mit einem
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