Baltrumer Bitter (German Edition)
gibt’s Neues? Wie wohnt es sich in Ihrem
neuen Haus?« Ruhig hörte er zu, was der Mann ihm zu sagen hatte. Dann fragte
er: »Sind Sie ganz sicher? Eine Genossenschaft? Das ist ja ein Ding!« Er konnte
kaum glauben, was er da gerade hörte.
Als der Mann seinen Bericht beendet hatte, schenkte Wybrands
sich einen guten Fingerbreit ein. Georg Hanefeld hatte ihn vor einigen Wochen darauf
aufmerksam gemacht, dass Ulfert Pallmann sich mit dem Gedanken trug, seine
beiden Insulanerhäuser zu verkaufen.
Wybrands hatte mit Pallmann vor Kurzem Kontakt aufgenommen und
vereinbart, dass man noch einmal miteinander reden würde. Bis jetzt hatte er
allerdings diesem Projekt in seinen Gedanken noch keine Priorität eingeräumt.
So weit, wie er seinem Sohn und Klara vorgegaukelt hatte, war die Sache noch
lange nicht. Weder gab es eine Zeichnung – die, die er den beiden gezeigt
hatte, stammte von einem Neubau an der Ostsee –, noch waren die Verkaufsgespräche
mit Pallmann so weit gediehen, wie er ihnen gesagt hatte. Bis jetzt war es für
ihn eigentlich nur ein Testobjekt für seine Mitarbeiter gewesen. Mehr nicht. Er
wollte einfach mal sehen, was die beiden draufhatten, wenn er nicht dabei war.
Und es schien genau so zu laufen, wie er sich das vorgestellt
hatte. Die beiden hatten sich erst einmal an Lohmann die Zähne ausgebissen.
Dann hatten sie untereinander Stress bekommen. Kein Wunder. Sein neuer Sohn
hielt sich für einen Frauenschwarm und seine Mitarbeiterin wollte nichts von
Männern wissen. Was ihm natürlich bekannt war. Also eine ideale Kombination für
einen Testlauf.
Franks Stimme hatte bei seinem Anruf am Mittag vor Ärger
gezittert. Wybrands würde ihnen noch zwei Tage geben. Dann war die Sache
entweder eskaliert, oder sie hatten sich zusammengerauft. Er goss sich einen
weiteren großzügigen Schluck ein und trank genüsslich.
Was hatte Frank gesagt? Diese Freundin war inzwischen ebenfalls
auf der Insel? Na denn Prost Mahlzeit. Er war gespannt, wie die drei
miteinander umgingen.
Was aber wäre, wenn seine beiden Mitarbeiter nach zwei Tagen
ihren Auftrag absolut in die Tonne getreten hätten? Der Gedanke behagte ihm
nicht. Denn vielleicht war ja dieses eigentlich nur als Experiment angedachte
Objekt gar nicht so verkehrt. So ein großes Projekt fehlte noch in seinen Auftragsbüchern.
Ein Hotelneubau käme ihm eigentlich gerade recht. Sein Jagdinstinkt erwachte.
Er würde gleich morgen zur Insel fahren. Das Ding sollte ihm
nicht noch im letzten Moment aus den Fingern gleiten. Gut, dass er auf Leute
wie Hanefeld zurückgreifen konnte. Leute, die für Fortschritt und Moderne
standen. Und dass der Mann im Rathaus arbeitete, war ein weiterer Glücksfall.
Wybrands stand auf und stellte die Cognacflasche in den
Schrank. Vielleicht hatte Dunja ein wenig Zeit für ihn. Er dachte gerne an seinen
letzten Aufenthalt auf der Insel zurück. In ihren Armen konnte man alle
Probleme des Tages hinter sich lassen und einfach entspannen. Er schloss das
Büro ab, das ihm in der letzten Zeit immer mehr zu einem Zuhause geworden war,
nahm sein Fahrrad und fuhr vom Hof. Halb acht. Noch drei Stunden. Das würde für
eine stramme Fahrt zum Großen Meer reichen. Dort in der Bedekaspeler Marsch,
direkt am Wasser, besaß er ein Wochenendhaus. Seine Zuflucht bei Hitze, Stress
im Job und dem unerwarteten Erscheinen eines jungen Mannes, der behauptete,
sein Sohn zu sein.
*
Frank tastete sein Gesicht ab und hatte das Gefühl, dass
seine Nase aus lauter Einzelteilen bestand. Als er auf seine Hände schaute,
konnte er es kaum glauben. Überall war Blut. Blut aus seiner Nase, auf seiner
Brust, seiner Hose. Alles rot. Dazu höllisches Kopfweh. Es reichte. Er wollte
nur noch liegen, seine Bettdecke gnädig über den Kopf gezogen. Aber noch eine
Minute länger mit diesem Monster in einem Raum? Unvorstellbar! Mühsam stand er
auf, wühlte in seiner Reisetasche nach frischen Sachen und ging unter die
Dusche. Das tat gut. So hörte er wenigstens das Gejammer von dieser Ziege nicht
mehr.
»Es tut mir ja so leid.«
Wenn es ihr so leidtat, warum hatte sie überhaupt zugeschlagen?
Er genoss den warmen Wasserstrahl auf seinem Rücken, dann im Gesicht. Er
blickte an sich herab, sah immer noch Blut, das sich auf seiner Brust mit
Wasser zu einer schmalen, hellroten Spur vereinte, am linken Bein entlanglief
und dann im Abfluss der Dusche vergurgelte. Er war fix und fertig. Das Erlebnis
an der hölzernen Palisadenwand würde er sein ganzes Leben nicht
Weitere Kostenlose Bücher