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Baltrumer Bitter (German Edition)

Baltrumer Bitter (German Edition)

Titel: Baltrumer Bitter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Barow
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vergessen. Er
war der Natur schutzlos ausgeliefert gewesen. Das Gefühl der Hilflosigkeit
steckte ihm nach wie vor in den Knochen.
    Dazu die Wut auf seine Kollegin … Er musste unbedingt raus
hier. Wenn das Bluten nicht nachließe, würde er sich ein paar Eiswürfel
besorgen, notfalls zum Arzt gehen. Aber raus musste er unbedingt. Seine Tasche
würde er erst noch dalassen, bis er ein anderes Zimmer gefunden hatte. Mühsam
zog er sich mit der rechten Hand an, während er mit der linken die
Toilettenpapierrolle unter die Nase hielt. Und nein, abreisen würde er nicht.
Den Gefallen würde er seiner karrieregeilen Kollegin nicht tun. Er würde sein
Programm durchziehen. Noch mal mit dem Bürgermeister reden.
    »Kann ich dir helfen?«
    Sie konnte ihm nicht helfen. Er warf die Papierrolle voller Wut
in die hinterste Ecke des Bades, fand noch ein Paket Taschentücher in seiner
Reisetasche, schob sich in seine Sneakers und verließ fluchtartig die Wohnung.
Zumindest sagte sein Gefühl »fluchtartig«. Die Realität hatte für diesen Moment
»langsames Trotten« vorgesehen. Als er gerade die Tür hinter sich zuziehen
wollte, fielen ihm sein Portemonnaie und sein Handy ein. Noch einmal drehte er
sich um, griff seine nasse, blutverschmierte Hose, die er in seine Reisetasche
gestopft hatte, und fand sofort, was er brauchte.
    Seine Kollegin kauerte wie ein Häuflein Elend auf dem Sofa.
Genau an der Stelle, wo ihre Freundin bis zu seinem großen Auftritt gesessen
hatte. Tolle Nummer, wie Klara da so zusammengesunken hockte und mit den Tränen
kämpfte. Aber Pech gehabt, meine Liebe, den Faustschlag hätt’ste dir besser
verkneifen sollen. Wie konnte sie sich von so einem harmlosen Satz nur
derart aus der Fassung bringen lassen? War doch nur Spaß gewesen. Nur wegen der
dummen Kuh war er jetzt obdachlos. Wenigstens hatte sein Nasenbluten aufgehört.
    Als er vor die Haustür trat,
erschrak er. Überall lagen Äste. Ganze Bäume hatten sich quer über die Straßen
gelegt. Dazwischen zerschlagene Dachpfannen. Es war ihm auf dem Hinweg gar
nicht aufgefallen, so sehr war er mit sich selbst beschäftigt gewesen. Im
Garten sah er Familie Steenken. Sie versuchten, etwas zwischen den Ästen der
großen Pappel hervorzuziehen. Die Gelegenheit! Wenn er sich zusammenriss, würde
es gehen. Es musste gehen!
    »Kann ich helfen?«, rief er freundlich hinüber und Arnold
Steenken nickte.
    »Wir sind froh um jede Hand. Wir müssen wissen, was von den
Meerschweinchen übrig ist. Sie sind Hildas ganze Liebe.«
    Aha, jetzt gab es endlich einen Namen zu diesem feenhaften
Gesicht. Frank sah, wie Hilda ihren Vater bittend anschaute. Mit vereinten
Kräften schoben sie die dicken Zweige zur Seite. Wobei er zugeben musste, dass
er mit seinem schmerzenden Körper keine große Hilfe war. Er hatte das Gefühl,
dass sein Kopf bei jedem Bücken zu zerspringen drohte, und die Angst vor
neuerlichem Nasenbluten saß ihm im Nacken.
    Das große Meerschweinhaus war zwar vollständig zerschlagen,
aber alle Tiere hatten überlebt und waren nicht einmal ausgebüchst, wenn er
Hildas glückliche Miene richtig deutete. Sie saßen dicht zusammengedrängt in
einer Ecke, die von der heruntergestürzten Pappel verschont geblieben war.
Vorsichtig hob Hilda die drei in einen Karton und trug sie in die Küche.
    Arnold Steenken setzte erneut mit seiner Säge an und trennte
einige der dickeren Äste vom Stamm, die nur noch durch gefährlich dünne
zerfledderte Rindenstreifen gehalten wurden. »Kommen Sie. Meine Frau hat
gesagt, dass Sie mich etwas fragen wollten. Und auf diesen Wetterschreck
müssen wir etwas für unsere Gesundheit tun. Dann muss ich wieder zur Arbeit.«
Steenken holte eine Flasche und drei Gläser in den Garten.
    Es sieht wirklich sehr gesund aus, was der Mann da in die
Gläser laufen lässt , überlegte Frank. Trotzdem: Die Wärme des Tages und der
Alkohol würden eine äußerst unheilige Allianz eingehen. Aber was tat man nicht
alles für den guten Zweck. Inzwischen war auch Hilda wieder aus dem Haus
gekommen und strahlte ihn an. Was für eine wunderschöne Frau sie war! Er
lächelte zurück und prostete ihr zu. Frank wünschte sich, diesen Blick nie
wieder loslassen zu müssen.
    »Auf unser Wohl«, holte Hildas Vater ihn abrupt aus seinen
Träumen.
    Frank berichtete dem Mann noch einmal von seinem großen Wunsch,
zusammen mit seiner Freundin in eines dieser schönen alten Insulanerhäuser zu
ziehen. Allerdings stieg noch immer die Magensäure hoch bei dem

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