Baltrumer Bitter (German Edition)
eigenen Chef etwas zu verschweigen oder der Polizei?
Natürlich bestand die winzig kleine Möglichkeit, dass Frank inzwischen wieder
aufgetaucht war und sie lachend in ihrer Wohnung empfing. Aber diese Chance
schätzte sie wirklich als äußerst gering ein.
*
Sandra hatte Lasagne im Ofen. Und er musste zu Steenken.
Nur weil ein Mann die Nacht nicht zu Hause verbracht hatte.
Oberkommissar Michael Röder
fuhr seinen Computer herunter und machte den Bildschirm aus. Im Flur kam ihm
Amir entgegen. Er kraulte dem Heidewachtel kurz übers Fell. Seit einem Jahr
waren Sandra und er nun Hundebesitzer, und seitdem konnten sie sich ein Leben
ohne Amir gar nicht mehr vorstellen. »Sandra, bitte, bitte stell das Essen
warm. Ich hoffe, dass ich zügig wieder da bin.«
Er holte sein Fahrrad aus dem reviereigenen Gartenhäuschen und
nahm den Weg unterhalb der Strandmauer. In der Ortsmitte war ihm einfach zu
viel los um diese Tageszeit. Es war kein Strandwetter, so erkundeten viele Gäste
die Baltrumer Lokalitäten. Heute würden die Restaurantbesitzer ein gutes
Geschäft machen. Wenn nicht jetzt, wann dann , dachte er. Der Winter
wird wieder lang genug werden.
Auf dem Weg zu Steenkens sah er Johannes Wentrup mit bloßem
Oberkörper im Garten stehen und mit kräftigen Hammerschlägen eine Holzpalisade
befestigen.
»Na, Sturmschaden?«, rief er ihm zu.
Der nickte. »Ja. Alles umgefallen. Da war echt Wucht hinter.
Mein lieber Scholli. Hätte noch viel mehr passieren können. Wir können froh
sein, dass niemand verletzt worden ist. Erstaunlich, wenn man bedenkt, wie das
Zeug hier in der Gegend herumgeflogen ist. Der Wahrscheinlichkeitsrechnung nach
hätten zumindest einige Leute getroffen werden müssen.«
Röder winkte und nahm Fahrt auf. Wentrup war pensionierter
Mathelehrer und gerade bei seinem Lieblingsthema angekommen. Die Ausführungen
zum Thema Wahrscheinlichkeitsrechnung hätten Sandras Lasagne in weite Ferne
geschoben.
Margot Steenken klopfte an die Tür der Ferienwohnung, doch
nichts rührte sich.
Sie wandte sich dem Polizisten zu. »Du kannst in meiner Küche
warten, oder vor der Tür. Oder ich schließe dir die Wohnung auf. Den Aufenthaltsraum
kann ich dir leider nicht anbieten. Putztag, du verstehst?«
Röder verstand. Wenn seine Sandra meinte, ihren Putztag
einlegen zu müssen, verkroch er sich am liebsten in seiner kleinen Wache oder
neuerdings in seinem kürzlich aufgestellten Gartenhaus. Putztage waren
grässlich, zumal das Mittagessen an diesen Tagen eher schmal ausfiel.
Er schaute auf die Uhr. »Ich warte vor der Tür. Dann kann ich
Frau Ufken nicht verpassen. Sie müsste jeden Moment kommen.« Im gleichen Moment
schlug die Haustür und er hörte Schritte, die sich langsam und schwer näherten.
Kurze Zeit später stand die junge Frau vor ihm, die morgens
behauptet hatte, ihr Freund sei zum Joggen unterwegs. Er war gespannt, wie die
Geschichte jetzt lauten würde. Immerhin hatte sie am Telefon gesagt, dass ihr
Freund bereits seit dem gestrigen späten Nachmittag verschwunden sei. Bestimmt
wieder so eine Beziehungsgeschichte, die sich beim näheren Hinsehen in Luft
auflöste. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. War nicht das erste Mal in
seiner Laufbahn, dass er das erlebte. Immerhin hatten die Menschen im Urlaub
endlich mal Zeit, ihre Macken auszuleben. Beziehungsweise die Macken ihres
Partners kennenzulernen. Das führte oft zu erstaunlichen Erkenntnissen.
»Gehen wir in Ihre Wohnung?«, fragte er nach einer knappen
Begrüßung. Frau Ufken sah schlecht aus. In ihrem blassen Gesicht zeichneten
sich hektische rote Flecken ab. Er hatte das Gefühl, dass sie sich dringend
setzten musste. Sonst würde sie ihm womöglich noch im Flur zusammenklappen.
Zitternd zog sie ihren Schlüssel aus der Tasche und versuchte,
ihn ins Schloss zu stecken. Vergeblich. Röder nahm ihr den Schlüssel aus der
Hand, schloss auf und führte sie in ihre Wohnung.
»Soll ich dabeibleiben?«, hörte er Margots Stimme aus dem Flur.
»Ich melde mich, wenn ich dich brauche. Danke einstweilen«,
antwortete er. Er zog einen Stuhl unter dem Küchentisch hervor und setzte sich
vor das Sofa, auf das sich Klara Ufken inzwischen hatte fallen lassen. »Nun
erzählen Sie mal«, sagte er ruhig.
Röder hörte sich an, was sie über die Geschehnisse des
gestrigen Tages zu sagen hatte. Er merkte, wie sie sich langsam beruhigte. Fast
teilnahmslos berichtete sie von Frank Vissers Verschwinden. Nur als sie ihm von
ihrer Freundin erzählte,
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