Baltrumer Bitter (German Edition)
Gesicht seiner Tochter ganz
kurz mit einem glücklichen Lächeln überzog, dann aber gleich wieder ernst
wurde. Ihre Bewegungen, die sonst immer so ruhig und fließend wirkten,
erschienen plötzlich eckig und ungelenk. Der Schreck von gestern, der Tornado
und die Angst um die Meerschweinchen schienen ihr tiefer in den Knochen zu
sitzen als gedacht. Sie hatte gesprochen, hatte Margot erzählt. Er wünschte, er
hätte in diesem Moment bei ihr und Hilda sein können. Er schaute seine Frau an.
Der gestrige Nachmittag musste auch bei ihr einen tiefen Eindruck hinterlassen
haben.
Er stand auf. »Ich gehe in den Keller und schaue nach meinen
Vorräten. Ich habe ein paar leere Flaschen übrig. Also muss ich mich an eine
neue Kreation machen. Wie wäre es mit Kirschlikör?«
Seine Frau atmete tief durch. Ihre Antwort ernüchterte ihn.
»Wie wäre es mit Pappelzersägen? Soll total kreativ sein«, erklärte sie mit
einem schiefen Grinsen.
»Mach ich. Mach ich. Aber erst gehe ich in den Keller.«
Dort unten zwischen seinen Flaschen mit den bunt gestalteten
Etiketten fühlte er sich wohl. Dort konnte er nachdenken. Er lehnte sich an die
alte Vitrine und drehte eine Flasche seines Bitterlikörs gegen das Licht. Tolle
Farbe – das Orange des Sanddorns mit dem Braun der verschiedenen Kräuter ergab
einen warmen Ton. Und dass sein Gebräu schmeckte, das hatte er bereits mit
seiner Frau, Frank Visser und mit Georg Hanefeld ausprobiert. In den langen
Wintermonaten werden Margot und ich den Likör warm und mit Schlagsahne genießen ,
überlegte er. Sollte er sich an den PC setzen und ein neues Etikett schaffen
oder der Pappel zu Leibe rücken? Gute Frage. Er entschied sich für den
Familiensegen. Beziehungsweise: Für die Familie sägen.
Ein Blick durch das kleine
Sprossenfenster sagte ihm, dass er seine alte braune Regenjacke am Haken hängen
lassen konnte. Nur die Motorsäge nahm er aus dem Werkstattkeller mit. Die
meisten der kleineren Äste hatte er bereits in verfeuerbare Teile geschnitten.
Jetzt fehlten nur noch die dickeren. Er würde Voigts anrufen. Die würden das
Holz gut für ihren Kamin gebrauchen können.
Wie leer der Garten war ohne die mächtige Krone der Pappel! Sie
würden überlegen müssen, ob sie einen neuen Baum pflanzen sollten. Dann allerdings
müssten sie den Stamm samt Wurzel ausgraben. Ein mühsames Unterfangen. Jetzt,
mitten im Sommer, war sowieso nicht daran zu denken. Mit etwas Glück schlug die
Pappel wieder aus.
Sein Blick fiel auf die Fenster des kleinen Ruheraums, den sie
erst kürzlich mit ordentlich Lesestoff, zwei Sesseln und einem kuscheligen Sofa
gemütlich eingerichtet hatten. Ob Frau Ufken dort wohl noch saß? Die war ganz
schön geladen gewesen, als sie von der Polizei zurückgekommen war. Allerdings
hatte sie sich dann an einen der Tische gesetzt und ein Buch aus ihrer Tasche
genommen. Margot hatte ihr eine Tasse Kaffee angeboten, die sie dankend
angenommen hatte.
Komische Sache, überlegte er. Der Visser ist bis jetzt noch
nicht wieder aufgetaucht. Sollte Michael recht haben mit seiner Bitte um
Verstärkung? Er selbst sah die Sache eher locker. Es gab nichts, was er bei
seinen Gästen nicht schon erlebt hatte. Wenn man da jedes Mal die Kommissare
aus Aurich angefordert hätte, wäre das ein stetes Hin- und Herfahren gewesen.
Er war gespannt, wie sich die Sache entwickeln würde. Er hatte dem Polizisten
gar nicht von seinem Gespräch mit Visser erzählt. Aber warum auch? Er konnte
sich nicht vorstellen, dass dessen Frage nach dem Haus irgendetwas mit Vissers
Verschwinden zu tun hatte.
»Hallo, Arnold. Wir sehen uns morgen?« Auf der Straße stand
Anne Vry und winkte ihm fröhlich zu.
»Klar, bin gespannt, wer kommt. Bei der Wut, die einige
Insulaner auf den Bürgermeister im Bauch haben …!« Er legte die Motorsäge
ins Gras und trat an den Gartenzaun.
»Richtig. Die einen sind sauer wegen der Art, wie er sein Amt
wahrnimmt …«
»Genau. Mit der unbestimmten Ahnung, dass er sich seine
Zustimmung zu manchen Entscheidungen gut bezahlen lässt.«
»… und die anderen, weil er alles, was nach Erhalt der alten
Werte, Traditionen und Sitten der Insulaner aussieht, einfach nicht
respektiert. Was stellt der sich bloß vor, was aus dieser Insel einmal werden
soll? Las Vegas und Hochhäuser?«
Arnold stieg schon wieder die Galle hoch. »Die Gäste, die hier
Urlaub machen, wollen Gemütlichkeit und kein Schickimicki.«
»Aber wir müssen uns weiterentwickeln«, sagte Anne
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