Baltrumer Bitter (German Edition)
zusammen sehen.« Es klang wie ein Befehl, und sie folgte ihm wortlos.
»Also los, erzählen Sie! Klären Sie mich auf!« Wybrands hatte
vor einem orangefarbenen Signallicht gehalten, das vor dem Überqueren des
Flugplatzes warnte. Tatsächlich zog in diesem Moment eine kleine Maschine
direkt über ihre Köpfe und landete mit wackelnden Flügeln auf dem Rollfeld. Als
das Licht erlosch, überquerten sie zügig das Flugfeld.
»Es hat … es hat Stress gegeben«, begann sie zaghaft.
»Sehe ich, also weiter.« Die Art, wie er seine Aktentasche
nervös in der Luft herumschwenkte, machte es ihr nicht gerade leicht, mit ihrer
Beichte fortzufahren.
Es hatte keinen Zweck. Sie musste reden. Sollte er sehen, was
er mit ihrer Geschichte machte. Ändern konnte sie an der Situation sowieso
nichts mehr. Sie holte tief Luft. Einmal. Zweimal. Erzählte ihm alles. Fast
alles. Von dem Gespräch mit dem Bürgermeister. Franks Anbaggerversuchen. Sonjas
plötzlichem Auftauchen. Was Sonja für sie bedeutete. Nur warum Frank abgehauen
war, dass sie ihn geschlagen hatte, das erzählte sie ihm nicht. Sie brachte es
nicht fertig.
»Ich habe ihn angeschrien. Dann ist er weg. Tut mir leid.« Sie
biss sich auf die Lippen. Den letzten Satz hätte sie nicht sagen sollen. Er
zeugte von Reue. Und Reue zeugte nicht von Souveränität.
»Noch einmal: Wo ist er?«
Klara schaute ihren Chef von der Seite an. Hatte sie da gerade
in seiner Stimme Besorgnis gehört? Blödsinn! Warum auch? »Ich habe keine
Ahnung«, erklärte sie.
»Rufen Sie die Polizei an!«
Klara blieb abrupt stehen. »Wie bitte?«
»Sie sollen die Polizei anrufen, habe ich gesagt.« Wybrands war
ebenfalls stehen geblieben und blickte sie aufgebracht an. »Der haut nicht
einfach ohne Grund ab und geht den ganzen Tag nicht an sein Handy. Sie rufen
jetzt an und verabreden sich mit dem Dorfsheriff. Dem erzählen Sie die komplette
Geschichte und dann wollen wir mal sehen, was der dazu sagt.«
Klara wurde schlecht bei dem Gedanken, die Polizei einzuschalten.
Zumal sie diese Aktion für völlig übertrieben hielt. Ihr Kollege machte sich
einen schönen Lenz, wo und mit wem auch immer. Das war des Rätsels Lösung. Sie
wurde langsam sauer. Auf Frank. Auf ihren Chef. Und auf die ganzen Umstände,
die sie und ihren Chef an diesem Sommertag diskutierend vor das schiefe
Metalltor der Müllumschlagstation geführt hatten. Natürlich konnte sie ihrem
Chef den wahren Grund für Franks Verschwinden beichten, aber sie wusste einfach
nicht, wie sie sich zwischen Pest und Cholera entscheiden sollte. Vielleicht
war die Zeit ihr Helfer und Frank tauchte in den nächsten Minuten auf. Aber was
wäre dann? Was würde er dem Chef erzählen?
»Warum rufen …«
»Weil ich hoffe, dass ich mich da raushalten kann. Also bitte.«
Seufzend zog Klara ihr Handy aus der Tasche und wählte. Als sie
aufgelegt hatte, nickte sie Wybrands zu. »Der Polizist kommt in einer halben
Stunde zu Steenken. Ich muss dann mal …«
»Warten Sie. Was hat er genau gesagt?« Energisch hatte er sie
am Arm gepackt.
Sie drehte sich aus seinem Griff und machte einen Schritt
zurück. »Nichts. Schätze, er wird sich die Story in Ruhe anhören und wieder
nach Hause fahren.« Sie merkte zu spät, dass die Gleichgültigkeit, die aus
ihren Worten sprach, bei ihrem Chef blanke Wut auslöste.
Er nahm seine Tasche und schlug damit gegen den Zaun, der die
Umschlagstation begrenzte. Immer wieder und immer wieder. So hatte sie ihn noch
nie erlebt. Dann schrie er sie an. »Verdammt noch mal, begreifst du denn nicht?
Ich will jetzt endlich wissen, wo er steckt! Ist ihm was passiert? Hat er sich
abgesetzt und macht sein eigenes Ding? Ich will es wissen!«
Zwei Erkenntnisse gingen Klara durch den Kopf. Erstens: Er
hatte sie geduzt. Das erste Mal, seit sie ihn kannte. Zweitens: Die Aufregung
dieses Mannes ging weit über das hinaus, was ein Arbeitgeber normalerweise an
den Tag legte, wenn sein Mitarbeiter sich eine unangemeldete Auszeit nahm. Und
das bei Jan Wybrands, dem Mann, der sonst so völlig emotionslos seine Kunden
über den Tisch zog.
»Gehen Sie! Und melden Sie sich sofort bei mir, wenn der
Polizist wieder weg ist.«
»Okay.« Klara drehte sich um und ließ ihren Chef allein zurück.
Sie würde ihm sicher auch nach dem Kontakt mit der Polizei nichts Neues
erzählen können.
Auf dem Weg zur Pension fingen ihre Knie wieder an zu
zittern beim Gedanken daran, was oder besser noch wer sie dort erwartete. Was
war schlimmer? Dem
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