Baltrumer Bitter (German Edition)
eine
Kleinkunstbühne draus machen. Ohne dass die Zuschauer über Gummimatten und
Riesenlegosteine stolperten. Dann folgt die Erhöhung der Kurtaxe für Kinder.
Nicht viel, aber so, dass es den Leuten aufstößt. Alles ganz moderat. Schritt
für Schritt.
Neidvoll dachte der Bürgermeister an seinen Juister Kollegen. Wenn
der seine Gäste auf der Insel herumführt – der hat was vorzuweisen. Allein
das KurhausHotel – große Klasse. Aber sie sollen mich nur machen
lassen. Ein paar Jährchen noch, dann habe ich die Leute hier auch so weit. Und
endlich ein Publikum auf der Insel, mit dem man was anfangen kann.
Er trat seine Kippe aus und fegte den Filter mit dem Fuß unter
den Tisch. Er musste nach Hause, den Fisch kühl stellen. Später würde er noch
einmal ins Büro gehen und sich ausstempeln. Sollte ihm keiner was nachsagen.
Der Bürgermeister stieg die Treppe hinunter zu seinem Fahrrad,
bückte sich nach dem Eimer, doch er griff ins Leere. Wo war das Ding? Er hatte
ihn direkt neben das Hinterrad gestellt. Das durfte nicht wahr sein! Lohmann
ging ein Stückchen näher, um sein Fahrrad herum, suchte die Umgebung im Umkreis
des Rades ab, aber es war zwecklos. Der Eimer mit den Fischen blieb
verschwunden. Er konnte es nicht glauben. Wer klaute denn am helllichten Tag
Fische? Und das auf der Insel? Das konnte nur ein dummer Streich sein. Und da
hatte jemand zugeschlagen, der nicht wusste, wem der Fang gehörte. Etwas
anderes konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Enno Lohmann atmete tief durch. Nur nichts anmerken lassen.
Womöglich saßen diese Idioten gut getarnt hinter der Düne, die die Tennisplätze
umschloss, und beobachteten ihn. Er würde ihnen nicht den Gefallen tun und hier
einen auf Rumpelstilzchen machen. Nicht ums Verrecken. Er würde sein Fahrrad
nehmen und nach Hause fahren. Schade um den Fisch. Nicht um den Eimer. Der
hatte eh seinem Angelfreund Dierk gehört.
*
»Herr Wybrands? Ja, die Polizei war da. Wenn Sie wollen,
können wir uns treffen. Wo? Müllstation? Okay.« Klara Ufken stöhnte auf. Hatte
der Mann denn gar keine Fantasie? Es gab doch sicher schönere Ecken als dieses
eingezäunte Gelände mit den gestapelten alten Containern.
Aber es nützte nichts. Noch war er der Chef. Noch. Sie hatte im
Moment derart die Schnauze voll, dass sie sich nicht einmal sicher war, ob sie
weiter für diesen Mann arbeiten wollte. Nicht, dass sie die Arbeit nicht mehr
mochte. Sie wollte nur raus aus der Geschichte, runter von der Insel und
einfach nichts mehr von ihrem verschwundenen Kollegen und ihrer nicht mehr
vorhandenen Freundin wissen. Alles hinter sich lassen. Die Tasche packen und
weg. Von mir aus auch weg aus Aurich , grübelte sie, weg aus Ostfriesland,
irgendwohin, wo mich keiner kennt und wo ich neu anfangen kann.
Fahrig verstaute sie Geld, Handy und Sonnenbrille in ihrer
Handtasche. Die Polizei hatte sie ganz schön in die Zange genommen. Sie war es
einfach nicht gewohnt zu lügen. Es war nicht leicht gewesen, die schnellen
Fragen der Männer zu beantworten und nicht die Kontrolle zu verlieren.
Klara schaute sich in ihrer Wohnung um. Davon, dass hier ein
Schnüffler alles von unten nach oben gekehrt hatte, war nicht mehr viel zu
sehen. Nur Franks Reisetasche, die fehlte. Was sollte sie ihm erklären, wenn er
wieder in der Tür stand? Deine Klamotten sind bei der Polizei, wir hatten dich
auf die Verlustliste gesetzt? Der würde ganz schön blöd gucken.
Sie schloss die Tür hinter sich und ging die Treppe hinunter.
Durch das Flurfenster sah sie Frau Steenken, die versuchte, eine Hängematte an
dem traurigen Überrest der Pappel zu befestigen. Auch das noch. Mit ihrer
Vermieterin zu reden, hatte sie erst recht keine Lust. Sie hatte keinen Bock
auf Fragen! Was wollte denn die Polizei? Was hat sie gesagt? Und, und,
und … Nee, wirklich nicht.
Aber sie sah keine andere Möglichkeit, das Haus zu verlassen.
Klara riss die Haustür auf, grüßte knapp und verließ das Grundstück wie vom Hofhund
gehetzt in Richtung Inselglocke. So entging ihr völlig, wie Margot Steenken
verwundert hinter ihr herblickte.
Als Klara zum zweiten Mal an diesem Tag über den Flugplatz lief
und in der Ferne ihren Chef mit der Aktentasche unter dem Arm unruhig hin- und
herlaufen sah, beschleunigte sie ihren Schritt. Dann baute sie sich vor ihm
auf. All ihr Respekt vor ihm war plötzlich gewichen. »Ich habe keinen Bock
mehr!«, blaffte sie ihn an, bevor er auch nur die Chance einer Begrüßung
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