Baltrumer Bitter (German Edition)
hatte.
»Ich musste eben die Polizei belügen. Ein Scheißjob, nicht zu wissen, was man
sagen darf. Immerhin hatte ich die Jungs selbst gerufen. Auf Ihre Anordnung
hin. Klar, dass die Fragen stellten. Und ich saß da und wusste nicht, was ich
sagen sollte.«
Jan Wybrands hatte seine Tasche auf die Erde gestellt und
versuchte, ihre Schultern zu umfassen. »Beruhigen Sie sich. Ist Frank denn …?«
Sie wich zurück. »Nein,
verdammt noch mal. Ist er nicht. Ich weiß nicht, wo der steckt. Ich weiß nur,
dass wir seinetwegen ganz viel Ärger an der Backe haben.« Ihre Stimme war immer
lauter und verzweifelter geworden.
»Nun mal ganz ruhig. Und jetzt erklären Sie mir, was Sie alles
nicht haben verraten dürfen. Bitte.«
Klara Ufken schaute ihren Chef an. Sie dachte an den Schlag,
der Auslöser für Franks Verschwinden gewesen war. Dachte daran, wie er blutend
vor der Tür gelegen hatte.
»Natürlich Ihr Projekt«, erklärte sie. »Offiziell waren wir als
Paar da, und Frank hatte bereits Kontakt mit Steenkens aufgenommen. Wenn ich
denen jetzt erzählt hätte, dass Sonja meine Freundin ist und Frank und ich
eigentlich das Häuschen bloß wegen Ihrer neuen Pläne kaufen wollten, wir also
rein geschäftlich vor Ort waren, dann hätten Sie Ihre Ideen sofort vergessen
können.«
Wybrands lächelte. »Das nenne ich Firmenloyalität«, erwiderte
er leichthin. Allerdings lächelte er nicht mehr, als er fragte: »Das war alles?
Mehr gab es nicht zu verbergen?«
Klara war entsetzt. Was wusste der Mann? Hatte er mit Frank
telefoniert? Hatte der sich in den letzten Stunden bei Wybrands gemeldet, und
sie wurde hier vorgeführt wie ein dummes Kind? »Wissen Sie was? Sie können mich
mal. Sie und ihr blödes Geschäft. Ich suche mir ’nen anderen Job. Einen, wo es
friedlicher zugeht. Einen, bei dem man keinen bescheißen muss, um an Aufträge
zu kommen.«
Aufgebracht lief sie den Weg zurück über den Flugplatz,
missachtete das gelbe Signal und hörte kaum, wie die kleine Maschine über ihren
Kopf hinweg zur Landung ansetzte. Erst als sie am Nationalparkhaus angekommen
war, realisierte sie, dass sie gerade knapp einer Katastrophe entgangen war.
Wenn der Flieger sie gestreift hätte – nicht auszudenken. Ihre Beine begannen
zu zittern. Sie setzte sich ins Gras.
Was für ein widerliches
Arschloch dieser Mann war. Wie hatte sie nur so lange bei ihm aushalten können?
Dabei hatte sie ihn eigentlich bewundert. Die Art, wie er Dinge anfasste, wie
er Menschen beeinflussen konnte. Zu Beginn ihrer Arbeit bei ihm hatte er sie
zur Seite genommen und erklärt: »Bei den nächsten Verkaufsverhandlungen üben
wir beide mal ein neues Spiel. Das heißt: Guter Mensch – schlechter Mensch. Wir
werden uns die Argumente gegenseitig in den Mund legen. Sie sagen zum Kunden:
›Tolles Haus. Das wollen Sie wirklich verkaufen?‹ Ich sage: ›Na ja, toll schon,
aber stark renovierungsbedürftig. Die Zeiten fürs Kaufen sind gerade jetzt ziemlich
schlecht.‹ Dann sind Sie wieder dran: ›Aber Chef, denken Sie an die Insellage.‹
Und ich: ›Die Leute, die etwas kaufen wollen, investieren lieber auf
Norderney.‹ Sie werfen ein: ›Es ist so schön ruhig hier.‹ Ich antworte: ›Aber
kein Meerblick. Das ist ganz schlecht.‹ Sie sagen: ›Es ist bestimmt nicht
leicht, sich von so einem Haus zu trennen.‹ Und ich nach einigem Zögern: ›Na
gut, wir helfen Ihnen. Auch wenn wir sehr viel Geld in die Hand nehmen müssen,
um das Haus für einen Käufer attraktiv zu machen.‹ Und so weiter und so weiter.
Zum Schluss hängen die an unseren Lippen. Zerrissen zwischen Stolz und dem
unbedingten Willen, ihr Haus zu verkaufen. Die tun alles, damit du nur nicht
Nein sagst. Gehen mit dem Preis runter und meinen, sie hätten noch ein
Riesengeschäft gemacht! Klappt immer.«
Klara war begeistert eingestiegen, voller Freude, wenn ihr Chef
mit dieser Masche wieder ein Haus billig erworben hatte. Schließlich baute er
etwas Neues, Schönes an die Stelle des Alten, oder er renovierte und machte
anschließend Schmuckstücke draus. Das zumindest musste man ihm lassen. Was aber
jetzt ablief, das ging zu weit. Endgültig zu weit.
Sie hatte sich entschieden. Sie würde einen konsequenten
Schnitt machen. Weg aus Ostfriesland. Weg vom Job und weg von der Frau, von der
sie gedacht hatte, sie sei ihre große Liebe.
Am liebsten hätte sie ihre Entschlüsse sofort in die Tat
umgesetzt. Aber die Polizei hatte sie gebeten – nein, sehr bestimmt
aufgefordert – die Insel
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