Baltrumer Bitter (German Edition)
auf Baltrum? Ist er mit euch zusammen in Urlaub
gefahren?«, fragte Dr. Neubert.
»Nein, Opa ist tot. Der hat da auch so gelegen und nicht mehr
mit mir gesprochen. Aber der hatte nicht so dolle Löcher wie der Mann.«
Es schauderte sie. Der Junge musste ganz schön was mitgemacht
haben in letzter Zeit. Erst der Opa gestorben und dann fand er eine so übel zugerichtete
Leiche. Kein Wunder, dass der durch den Wind war.
Es klopfte. Dr. Neubert öffnete die Tür des Krankenwagens einen
kleinen Spalt.
»Mussels. Wir sind die Eltern von Nico. Wo ist unser Sohn?«,
hörte sie eine dunkle, energische Stimme.
»Ihr Sohn ist hier. Bitte bleiben Sie ruhig.«
Die Tür des Krankenwagens wurde bis zum Anschlag aufgerissen.
»Nico, Nico, was machst du denn für Sachen?« Zwei kräftige Arme zogen Nico vom
Schoß des Rettungsassistenten. Ein Aufschrei des Jungen war die Folge.
»Jetzt mal Ruhe.« Leise aber unmissverständlich klangen die
Worte der Ärztin. »Der Kleine hat einen Schock. Entweder reißen Sie sich
zusammen, oder ich bringe ihn in die Klinik. So geht das hier nicht.«
Einen Moment lang schwiegen alle. Sogar Nico hatte aufgehört zu
weinen. Dann sagte der Vater: »Entschuldigung. Wir haben uns nur solche Sorgen
gemacht. Dürfen wir zu Ihnen ins Auto kommen?«
Dr. Neubert nickte Maik Bernhard zu. »Wechselt mal die Plätze.
Ich glaube, Nico kuschelt sich am besten bei seiner Mama ein. Herr Mussels, kommen
Sie. Ich erkläre Ihnen kurz, was mit Ihrem Sohn los ist.« Die Ärztin zog Nicos
Vater aus der Hörweite des Jungen.
»Was ist denn nun genau passiert?«, fragte der Mann aufgeregt.
»Er hat im Tarzanwald beim Spielen einen Toten entdeckt.«
Mussels sah die Ärztin entsetzt an. »Sie müssen wissen, unser
Sohn hat kurz vor unserem Urlaub seinen Lieblingsopa, also den Vater meiner
Frau, tot in seinem Sessel gefunden. Es war ein fürchterlicher Schock für Nico.
Es kam auch für uns ganz unerwartet. Der Mann war nicht alt, wissen Sie?« Er
zögerte. »Ist dieser Mann …?«
Ellen Neubert sah, dass sich inzwischen eine ganze Anzahl
Neugieriger um den Krankenwagen versammelt hatte. Die einen standen näher, die
anderen etwas weiter entfernt, aber alle hatten den gleichen Blick in ihren
Augen, der sagte: Aufregend, hier passiert gerade etwas! Sie hoffte nur,
dass sich keiner von denen in das Wäldchen verirrte. Aber der Polizist würde
schon dafür sorgen, dass sich niemand dem Toten näherte.
»Wissen Sie was?«, sagte sie entschlossen. »Wir fahren in die
Praxis. Dort können wir uns um Nico kümmern und uns in Ruhe unterhalten.«
*
Meine Güte, die können wohl gar nicht genug kriegen, dachte
Enno Lohmann säuerlich, als er sein erstes Bier auf der Terrasse der Welle trank. Gestern schon den ganzen Tag dieser nervtötende Sirenenlärm der
Feuerwehrautos und jetzt schon wieder. War nicht gerade förderlich für den Fremdenverkehr,
wenn die Gäste quasi mit der Ohrmuschel auf irgendwelche Gefahren gestoßen
wurden. Würde er mal bei der nächsten Gemeinderatssitzung anschneiden, dass die
Jungs zumindest im Sommer ohne dieses schreckliche Geräusch zu ihren Einsätzen
fahren sollten. Ach was, so lange würde er nicht warten. Er würde es einfach anordnen.
Basta.
Lohmann nahm einen tiefen Schluck. Ein guter Fang war das
gewesen. Ein Wolfsbarsch und zwei Aale. Den Barsch würde er selbst essen, die
Aale an seine Nachbarin verkaufen. Er hasste Aal. Den Eimer hatte er unten
neben seinem Fahrrad abgestellt. Die Chefin des Hauses mochte es nicht, wenn er
ihn mit auf die Terrasse hinaufbrachte, schon gar nicht mit ins Restaurant, und
er wollte sie nicht verärgern. Es hieß ja immer, der Kunde sei König, aber nach
dem Blick, den sie ihm zugeworfen hatte, als er neulich mit seinem Eimer
aufgetaucht war, wollte er heute lieber nichts riskieren.
Er zündete sich eine Zigarette an. Nur wenige Plätze waren um
diese Uhrzeit besetzt. Auf der hölzernen Brücke stritten sich zwei Kinder um
eine Schaufel. Von den Eltern war weit und breit nichts zu sehen. Auch
so ’n Thema. Das Image dieser Insel muss unbedingt geändert werden ,
dachte Lohmann. Weg von Familien mit schreiendem Nachwuchs in quietschenden
Bollerwagen – hin zu Leuten mit Geld, die ihre Ruhe wollen. Ruhe und ein geiles
Hotel mit allen Schikanen. Wybrands’ Angestellte hatten schon recht. Nur
so kann es weitergehen. Beginnen wir mit dem Abbau der Kinderspielplätze. Dort
werde ich romantische Ruhe-Oasen einrichten. Das Kinderspielhaus? Kann man
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