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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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haben. Und drückt aufs Gas, ihr wisst, die ersten achtundvierzig Stunden sind die wichtigsten, bevor die Spuren kalt werden.«

8
    Jahrelang hatte Hanna nicht an Paolo gedacht, nun ja, zumindest nur selten. Warum fiel die Erinnerung dann jetzt so heftig über sie her? War die Trennung von Benno der Schlüssel, der den dunklen Raum öffnete, in den sie den Abschied von Paolo eingesperrt hatte? Hanna saß vor den Papieren an ihrem Schreibtisch und starrte in das trübe Licht über dem Fluss. Regen in der Regnitz – die grauen Wasser vor ihrem Fenster verwandelten sich in das Grau venezianischer Kanäle. Ihr Häuschen in »Klein-Venedig« war einer der Witze, die sich das Schicksal manchmal ausdenkt. Von Venedig nach Klein-Venedig – das Ende eines Traums. Der Traum hatte einen Namen gehabt – Paolo.
    Schon immer waren Häuser Hannas Leidenschaft gewesen. Bereits als Fünfjährige hatte sie Grundrisse gezeichnet. In den Häusern ihrer Kindheit konnte sie immer noch im Kopf von Zimmer zu Zimmer gehen und würde sich blind zurechtfinden. Mehrere Bamberger Häuser waren darunter, denn hier war sie aufgewachsen – bis zu ihrem zehnten Lebensjahr. Dann wurde ihr Vater an eine Bank in Frankfurt versetzt, und die Familie – ihre Eltern, ihre zehn Jahre ältere Schwester, der jüngere Bruder und Hanna – zog in die deutsche Hauptstadt des Kapitals.
    Doch Hannas Lust an gebauten Räumen blieb ihr erhalten und tobte sich besonders in den Familienurlauben aus, die lange Zeit in der Nähe von Venedig stattfanden. Schon auf der Fahrt dorthin ging sie den andern auf die Nerven mit ihrem Wunsch, noch eine Kirche und noch eine Burg zu besichtigen. »Bitte, Papa, halt an. Ganz kurz nur. Ich schau mir’s nur schnell an. Ihr könnt ja solange Kaffee trinken.« Mindestens ein Tag in jedem Urlaub war Venedig gewidmet. Sie fuhren mit dem Auto nach Punta Sabbioni oder Treporti und von dort nach Venedig, Burano, Murano, Torcello. Wenn dann der Campanile auftauchte und die Frage »Ist er es wirklich?«, wenn schließlich die Salute-Kirche mit ihren großen Ohren jeden Zweifel an der glücklichen Ankunft beiseiterollte, stieg eine tiefe Glückseligkeit in Hanna auf: Sie war angekommen. Niemals verirrte sie sich mit ihrem Stadtplan in Venedig, nicht ein einziges Mal, und der Stolz auf diese ungewöhnliche Fähigkeit machte Venedig zu »ihrer« Stadt.
    Es war von vornherein klar, dass sie Kunstgeschichte studieren würde, in Würzburg zuerst, dann in München. Doch dort trieb sie sich mehr bei den Architekten herum als im Kunsthistorischen Institut, bei Professor Reitinger vor allem, der sie lehrte, dass Häuser Geschichten bewahren wie Bücher, wenn man sie nur zu lesen versteht. Sie begann eine Doktorarbeit über »Gebäude als Geschichtsdokumente«.
    Dann lernte sie Paolo kennen, zu Beginn ihres siebten Semesters. Es war die berühmte Liebe auf den ersten Blick. Sie sahen sich an, begannen zu zittern und landeten wenige Stunden später im Bett, das sie in den folgenden Tagen nur noch notgedrungen verließen. Für Hanna sang die ganze Welt. Paolo war Venezianer, aus einer alten venezianischen Familie. Er sah aus wie Donatellos David, nur größer. Er wollte in zwei Monaten München verlassen, um Kustos eines Museums in Venedig zu werden und, was wichtiger zu sein schien, um das Vermögen der Familie zu verwalten. Und er wollte sie mitnehmen. Hanna fürchtete, die Götter würden neidisch werden auf so viel Glück. Sie änderte das Thema ihrer Doktorarbeit; sie wollte jetzt den Einfluss Donatellos in Venedig erforschen. Ihr Doktorvater war damit nicht einverstanden, aber Hanna konnte sehr hartnäckig sein.
    Sie fuhren Anfang November. Venedig im November! Keine Touristen mehr, die Einheimischen unter sich, und sie, Hanna, würde dazugehören. Ihre Träume wurden immer konkreter. Die Ricardis hatten ein Schlösschen in den Bergen und ein Sommerhaus auf Albarella, und Hanna sah ihre bambini dort spielen, süße italienische bambini in einer kinderlieben italienischen Familie, verwöhnt von der Großmutter und den Verwandten. Beim Packen lachte und tanzte und sang Hanna und unterbrach dies nur, um Paolo zu küssen, der immer stiller wurde.
    Als sie ankamen, regnete es in Strömen, und als das Gepäck im Boot verstaut war, trieften Schuhe und Mäntel und Haare. Der

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