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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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waren die Deutschen ein Volk von Entwurzelten: aus der überheblichen Sicherheit ihrer Weltanschauung gestürzt, aus der Heimat vertrieben, vom Krieg traumatisiert, durch Bombenruinen irrend und hungrig. Die Sicherheitslage nahm katastrophale Ausmaße an: Diebstahl, Schwarzhandel und Schmuggel waren an der Tagesordnung, von schlimmeren Verbrechen ganz zu schweigen – Vergewaltigung, Raub, Mord. Ein Menschenleben wog damals nicht viel.
    Schon 1945 stellte die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (
SMAD
) für ihre Besatzungszone eine erste Polizeiformation auf, die versuchen sollte, des Chaos irgendwie Herr zu werden. Doch die etwa viertausend Mann waren für diese Sisyphusarbeit viel zu wenige und auch noch schlecht gerüstet – ohne Uniformen und Waffen und angewiesen auf die Dorfbürgermeister, die sie verpflegen und unterbringen mussten. Völlig überfordert aber waren sie vor allem mit der Aufgabe, nach der Sperrung der Zonengrenze zwischen der Sowjetischen Besatzungszone und den drei Westzonen am 30.   6.   1946 die massenhaften illegalen Grenzübertritte zu verhindern.
    Deswegen wurde am 1.12.1946 auf Befehl der
SMAD
die »Deutsche Grenzpolizei« gegründet. Zunächst waren es zweitausendfünfhundert Mann, die die eintausenddreihundertfünfzig Kilometer lange »Demarkationslinie« überwachen sollten. Das konnte nicht funktionieren. Bis 1947 passierten die meisten Menschen die Grenze ohne Erlaubnis, überwiegend von Ost nach West, wo sie dann blieben. Das wollten die Machthaber in der
DDR
jedoch unbedingt unterbinden. Deshalb wurden die Planstellen bei der Grenzpolizei ständig erhöht – von den anfänglichen zweitausendfünfhundert bis auf zweiundfünfzigtausend im Jahr 1962. Diese Sollzahlen wurden jedoch niemals erreicht. Von Anfang an – bis zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1962 – bestanden erhebliche Rekrutierungsprobleme. Nach dem gerade überstandenen Krieg waren nur wenige Männer bereit, erneut »Dienst mit der Waffe« zu übernehmen. Dazu kamen zunächst strenge Auswahlkriterien: Es durften weder ehemalige Mitglieder der
NSDAP
noch Berufsoffiziere der Wehrmacht eingestellt werden. Besonders im Grenzdienst sollten nur politisch zuverlässige Polizisten eingesetzt werden.
    Erwünscht waren
gefestigte sozialistische Persönlichkeiten mit Klassenbewusstsein und revolutionärer Wachsamkeit
, die die Grenze aus ideologischer Überzeugung gegen den westlichen Klassenfeind bewachen wollten. Doch solche Idealgestalten waren selten. Die meisten gingen zur Grenzpolizei, weil das Essen gesichert und die Bezahlung nicht schlecht war oder weil sie keine andere Arbeit bekamen. Das drückte sich auch im Bildungsniveau der Truppen aus; noch 1956 hatten fünfundzwanzig Prozent der Mannschaften und sogar acht Prozent der Unteroffiziere gar keinen Schulabschluss, und nur null Komma vier Prozent der Offiziere hatten eine Hochschule besucht. Außerdem gab es erhebliche Probleme mit der Disziplin; die Zahl der Desertionen war hoch. Allein im Jahr 1949 flohen dreihundertsechs Grenzer in den Westen.
    Die Partei startete umfangreiche Werbekampagnen, die in den Schulen und der allgegenwärtigen Jugendorganisation der »Freien Deutschen Jugend« (
FDJ
) erheblichen Druck auf die jungen Männer ausübten, sich für die Volkspolizei oder deren Unterabteilung Grenzpolizei zu verpflichten. Kriegsgefangene in sowjetischen Lagern wurden vor die Alternative gestellt, im Lager zu verbleiben oder als Grenzpolizisten heimkehren zu dürfen. Und dennoch konnten nicht genug Personen angeworben werden.
    Vor diesem Hintergrund war einer wie Franz Novak trotz seiner dürftigen Ausbildung hochwillkommen – einen Arbeiter ohne Westkontakte, der freiwillig und überzeugt mitmachen wollte, nahm man sofort, und er hatte gute Karrierechancen. Nach einer kurzen Grundausbildung wurde er als Grenzposten zu Hause in Willersdorf eingesetzt, um bald auf alle möglichen Fortbildungslehrgänge geschickt zu werden, schließlich sogar auf die Politoffiziersschule in Berlin-Treptow. Auf jede Ausbildung folgte eine Beförderung, vom Volkspolizeiwachtmeister bis zum Leutnant.
    Auch Hans Kromm, Franz Novaks Jugendfreund, hatte sich bei der Polizei beworben; gelegentlich hatten sie an denselben Lehrgängen teilgenommen, auch wenn Kromm nicht so schnell aufgestiegen war wie sein

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