Bamberger Verrat
Anordnungen der Grenzstreife wird von der Waffe Gebrauch gemacht.
Am 5.  Juni 1952 begann die »Aktion Ungeziefer«, die hier etwas ausführlicher geschildert wird, weil sie offenbar bei Franz Novak ebenso wie bei vielen
DDR
-Bürgern die innere Entfremdung zum bis dahin akzeptierten oder auch bewunderten System auslöste. Mit der »Aktion Ungeziefer« wurden alle Bewohner der Fünf-Kilometer-Sperrzone zwangsevakuiert, die als
negative und politisch unzuverlässige Elemente
gewertet wurden. Dazu gehörten auch alteingesessene Bauern, die nicht in die
LPG
s eintreten wollten, Leute, die in der Kirche aktiv waren, oder solche, die der örtliche
SED
-Funktionär nicht leiden konnte. Die
Säuberungen
erfolgten geheim und schnell; sie sollten innerhalb von zehn Tagen abgeschlossen sein. Unter Androhung von Gewalt mussten die völlig unvorbereiteten Menschen ihre Häuser innerhalb von wenigen Stunden verlassen. Es gab keine Gerichtsbeschlüsse oder schriftlichen Begründungen und keine Möglichkeit, sich zu wehren. In den betroffenen Gemeinden â die, in denen die Zwangsevakuierungen durchgeführt, und die, in denen die Ausgesiedelten untergebracht wurden â verbreitete man das Gerücht, es handle sich um
kriminelle Staatsfeinde
. Die Vertreibung und Diskriminierung betraf fast zehntausend
DDR
-Bürger; Tausende flohen, zum Teil ganze Dorfgemeinschaften.
Die Opfer, aber auch viele der »Helfer« wurden tief traumatisiert. In den Unterlagen zu Franz Novak fand sich ein Brief, den ein befreundeter Betriebsleiter ihm geschrieben hatte und der später von der Stasi beschlagnahmt worden war. Darin berichtet der Mann, dass er von der
SED
-Stadtleitung als »Helfer« mit dreihundert anderen eines Abends in einen Saal befohlen und ohne Mitteilung, worum es gehe, mit Lkws nach Hildburghausen gebracht wurde. Dort wurde ihnen gegen vier Uhr morgens gesagt:
Aus dem Grenzgebiet müssen Staatsfeinde, Grenzgänger, minderwertige Subjekte evakuiert werden. Ihre Aufgabe ist es, die Möbel zu transportieren. Es ist Ihnen verboten, mit dem verbrecherischen Gesindel zu reden.
Ein Polizist und ein ortskundiger Führer fuhren drei der »Helfer« zu einer Gaststätte, aus der die Besitzerfamilie vertrieben wurde: die schluchzende Frau mit zwei weinenden kleinen Kindern, der GroÃvater, der mit Selbstmord drohte, und der Ehemann, der wegen seiner Weigerung, das Haus zu verlassen, brutal zusammengeschlagen wurde. SchlieÃlich verlieà der Lkw mit den aufgeladenen Möbeln und Menschen das Dorf.
Niemals werde ich die Gesichter der Menschen vergessen, die beiderseits der StraÃe mit Heugabeln, Hacken und Ãxten standen. Finstere, wütende Gesichter und Drohgebärden. Wir »Helfer«, nun zusammen in einem Lkw, schwiegen, alle fix und fertig. Ich kann mich nicht erinnern, je etwas so Brutales gesehen zu haben, nicht einmal im Krieg. Zu Hause habe ich zu meiner Frau gesagt: »Jetzt haben sie mir den Sozialismus ausgedroschen.«
Dass auch die Verantwortlichen der Aktion um das Unrecht ihres Tuns wussten, zeigt die Tatsache, dass die
DDR
-Presse das Ganze schlichtweg leugnete. Am 18. Â Juni 1952 verbreitete die
DDR
-Nachrichtenagentur
ADN
die Meldung:
Die Bevölkerung an der Demarkationslinie hat die MaÃnahmen zur Verteidigung der demokratischen Errungenschaften des Volkes vor den Anschlägen feindlicher Elemente aus Westdeutschland mit groÃer Genugtuung aufgenommen. In letzter Zeit werden jedoch verleumderische Gerüchte in Umlauf gesetzt, wonach aus Ortschaften, die in dem Fünf-Kilometer-Streifen an der Dl liegen, eine Massenaussiedlung von Einwohnern durchgeführt werden soll. Die Haltlosigkeit und der feindselige Charakter dieser Gerüchte ist offensichtlich. Es sind keinerlei Aussiedlungen vorgesehen.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Vertreibungen bereits durchgeführt.
Bei vielen Grenzpolizisten führten derartige Erlebnisse zu wachsender innerer Distanz zu dem Staat, dem sie dienen sollten. Dazu kamen die internen Probleme der Truppe: mangelnde Verpflegung, schlechte Ausrüstung und â aufgrund der Rekrutierungsprobleme â übermäÃig lange Dienstzeiten. Täglich acht Stunden Grenzdienst plus zwei Stunden Ausbildung, dazu Politunterricht, zahlreiche Alarme und Sonderschichten führten dazu, dass die Männer kaum ausreichend Schlaf fanden und immer wieder im Dienst einschliefen, wofür
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