Bamberger Verrat
vernünftige Person, wie er fand. Sie erzählte ihm von ihrem Projekt, der Gefängnis-Schreibwerkstatt, das er ja schon kenne, und wie erfolgreich es sei und dass sie es jetzt erweitern wolle und mit der VHS eine Vortragsreihe â¦
Wahrscheinlich ist es aussichtslos, eine passende Wohnung oder ein Haus über einen Makler oder das Internet zu finden; die interessanten Sachen gehen sicher unter der Hand weg, dachte Benno und rieb sich die Nase. Ich sollte mal den Hans anrufen; der kommt doch als Heimatpfleger in Hunderte von Häusern. Hanna würde es bestimmt freuen, ein Denkmal herzurichten.
»â¦Â bereit, einen solchen Vortrag zu halten?«, drang Frau Schneleins Frage wieder bis in sein Bewusstsein vor.
»Oh ja. Ja, natürlich«, antwortete Benno verlegen, weil er nicht mitbekommen hatte, welchen Vortrag Frau Schnelein wohl von ihm erwartete. Er konnte sie das ja wohl nicht fragen, wenn sie gerade ⦠Dann kam ihm eine Idee. »Vielleicht schicken Sie mir einfach eine E-Mail, in der Sie die Einzelheiten nochmals erläutern. Ich brauche so eine schriftliche Anfrage ja auch als Vorlage für den Herrn Generalstaatsanwalt, der das genehmigen muss.«
»Ja, gut, das kann ich machen«, sagte Frau Schnelein zurückhaltend; sie hatte wohl mehr Begeisterung erwartet. »Aber dann habe ich noch eine Frage. Es geht um den Gefangenen Hans Kromm. Die Anstaltsleitung meinte, ich solle mich vorsichtshalber bei Ihnen erkundigen. Da war heute früh â¦Â«
Benno kramte ein bisschen in seinem Gedächtnis, dann fiel ihm wieder ein: Hans Kromm, Versicherungsbetrug, Verhandlung vor ungefähr einem halben Jahr, älterer, untersetzter Mann mit tief zerfurchtem Gesicht und stark sächsischem Akzent.
»â¦Â Besucherin. Und jetzt ist Herr Kromm ganz aufgeregt und will unbedingt mit seiner Frau telefonieren. Können wir ihm das gestatten?«
»Ich denke schon«, sagte Benno. »Der Mann war ja sozial gut integriert. Da habe ich keine Bedenken.«
»Gut. Dann faxe ich Ihnen das Gesuch gleich rüber. Wenn Sie es mir bitte unterschrieben zurückfaxen könnten?«
Na, das ist wirklich ungewöhnlich, dachte Benno, als er den Telefonhörer auflegte. Er war drauf und dran, zurückzurufen und sich die Sache eingehender erläutern zu lassen. Doch dann verdrängte er das ungute Gefühl, das er im Nacken spürte, und wandte sich aufseufzend wieder seinen Akten zu.
Eine Viertelstunde später zeichnete er ein Haus mit Garten und begann zu rechnen. Sein Gehalt als Staatsanwalt und demnächst wohl Richter war zwar sicher, aber nicht üppig, und Hannas Einkünfte waren unsicher und erst recht nicht üppig. Allerdings â wenn sie ihr Häuschen verkaufen würde ⦠Aber daran wollte er gar nicht denken.
Er hatte schon viele Blümchen und Bäumchen in seinen Garten gemalt, bis er das Wissen wieder zulassen konnte, dass er seine Rechnungen ja ohne Wirtin machte, dass Hanna gegangen war und ihn alleingelassen hatte und dass er überhaupt nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Und dass er jetzt zu spät zu seinem nächsten Termin kommen würde.
12
1948 ging Franz Novak zur Polizei. 1945 war sein Vater gestorben, und Franz hatte, um Geld zu verdienen, als Waldarbeiter angefangen. Doch die Aussicht auf besseren Verdienst, eine Uniform und eine höhere soziale Stellung und der Wunsch, auch offiziell eine Waffe tragen zu können, veranlassten ihn, sich bei der Polizei zu bewerben. Und auÃerdem wollte er anfangs wohl auch beim Aufbau dieses neuen Staates mitwirken, der so anders sein sollte als das untergegangene Dritte Reich: friedlich und gerecht, demokratisch, antimilitaristisch und sozialistisch, in dem die Klassenunterschiede beseitigt und alle Menschen gleich sein sollten. Auf seinen Antrag hin wurde er 1948 in die
SED
aufgenommen, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, die 1946 auf Druck der Sowjets entstandene und später allmächtige Staatspartei in der
DDR
.
Kunigunde betrachtete das einzige Foto des jungen Franz Novak, das sie hatte finden können: mit bloÃem Oberkörper auf eine lange Axt gestützt, mit dichtem hellen Haar, offenem Blick und einem schelmischen Lächeln â ein wirklich gut aussehender Bursche, dachte sie. Dann las sie weiter.
1948
wurden in der sowjetischen Besatzungszone (
SBZ
) Polizisten händeringend gesucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg
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