Bambule am Boul Mich
ich.“
Eine schöne sonore Baßstimme.
Kultiviert, völlig akzentfrei.
„Nestor Burma“, stellte ich
mich vor. „Sie fragen sich bestimmt, woher ich Ihren Namen und Ihre Adresse
habe. Und was ich von Ihnen will. Ich bin ein Freund von Jacqueline Carrier,
die Sie sicher kennen...“
Er nickte.
„Von ihr hab ich Ihre Adresse.
Jacqueline ist wiederum eine Freundin von Yolande, die ich auch flüchtig kenne.
Wegen ihr bin ich hier. Ich möchte sie um einen Gefallen bitten.“
„Aha!“
Er sah mir über die Schulter.
Kein Tick, sondern eine automatische Bewegung. Wollte sich vergewissern, daß
ich alleine war. Seltsam, diese Verteidigungshaltung. Na ja, er war schwarz.
Das erklärte einiges. Vielleicht machte sich bei ihm das Erbe seiner Vorfahren
bemerkbar, die Erinnerung an den feindlichen Dschungel.
„Darf ich reinkommen?“ fragte
ich. „Ich hab gerade eine hundsgemeine aisatische Grippe hinter mir. Und hier
im Flur find ich’s nicht eben sehr warm.“
Nach kurzem Zögern sagte er:
„Bitte.“
Ich las in dem Schwarzen wie in
einem offenen Buch. ,Komm rein’ dachte er. ,Du bist alleine. Wenn ihr zu mehreren wärt, wär’s was
anderes. Ich hab keine Angst vor dir. Wenn du das Maul zu weit aufreißt... ich
bin kräftig genug... (Ich hätte mich tatsächlich ungern mit ihm angelegt!)...
um mit dir fertig zu werden.’
Aber so richtig verstand ich
sein Benehmen nicht. Das Unbehagen von eben stieg allmählich wieder in mir
hoch.
Ich folgte dem schwarzen
Studenten in ein Zimmer, das verschiedenen Zwecken diente: Eßzimmer-Küche-Arbeits-Badezimmer.
Ein Wandschirm verbarg notdürftig eine Anrichte, ein Spülbecken und eine
Kochplatte. Auf einem Tisch lagen Hefte und Bücher, dazu alles, was man so zum
Schreiben braucht. Wissenschaftliche Bücher standen auf Regalbrettern an der
Wand. Ein Sessel, um bequem nachdenken zu können. Zwei Stühle mit gepolsterter
Sitzfläche. Nirgendwo ein Bett. Hinter dem Vorhang links mußte wohl das
Schlafzimmer sein. Das Mehrzweckzimmer hier war sauber und gemütlich. Das
bescheidene Zuhause eines ruhigen Studenten, der seine Unabhängigkeit liebt.
Etwas unordentlich, aber was soll’s! ... Zwei oder drei Gegenstände aus dem
Herkunftsland des Jungen gaben, zusammen mit ihm selbst, dem Ganzen eine
exotische Note.
Das Fenster ging auf die Place
de la Contrescarpe. Im hellen Tageslicht konnte ich mir meinen Gastgeber besser
ansehen.
Die Tatsache, daß ihm die
dreckige alte Karre gehörte, hatte mich gegen ihn eingenommen. Ich war darauf
gefaßt gewesen, einem zweiten Van Straeten gegenüberzustehen, was den Gebrauch
von Seife anging. Ich hatte auch noch damit gerechnet, daß er mich im
Lendenschurz empfangen würde, mit Stehkragen und Zylinder, wie ein
Negerhäuptling im Varieté. Warum nicht? Aber ich hatte mich völlig verhauen.
Toussaint Lanouvelle war
ungefähr fünfundzwanzig, athletisch, sah gut aus in seinem gutgeschnittenen
Anzug, den er mit einer geschmeidigen, natürlichen Eleganz trug. Er hatte ein
feines Gesicht, sehr schön, aber abgespannt, mitgenommen, verwüstet. Er machte
überhaupt einen müden Eindruck. In seinen feuchten, rotgeäderten Augen lag ein
mystischer Glanz. Seinem Aussehen nach konnte er Oberpriester irgendeiner Sekte
sein. Vielleicht hatte ich ihn mitten in einer Andachtsübung gestört. Deswegen
hatte es auch so lange gedauert, bis er zur Tür gekommen war.
Das Unbehagen verließ mich
nicht mehr. Ich weiß nicht, ob ich phantasierte, ob mein Fieber mir einen
Streich spielte. Aber ich meinte, irgendetwas Ungewöhnliches in der Luft zu
schnuppern. Und das war nicht nur der eigentümliche Geruch.
Denn dieser Geruch stieg mir
tatsächlich in die Nase. Verschiedene sogar. Erstmal der Weihrauchgeruch, mit
dem sich ein zweiter vermischte, undefinierbar, bitter. Weihrauch! Innerlich
mußte ich lachen, aber nicht sehr sauber: vielleicht zelebrierte Toussaint Lanouvelle
Schwarze Messen!
„Sie wollten zu Yolande,
Monsieur?“ fragte der Student höflich, aber wie abwesend.
„Ja. Jacqueline Carrier hat mir
erzählt, daß sie bei Ihnen sein könnte. Ist sie nicht da?“
„Nein.“
Er schüttelte den Kopf.
„Mein Gott, nein“, stieß er
nochmal hervor.
„Ach!“ sagte ich verlegen. „Sie
wissen nicht zufällig, wo sie sein könnte?“
Seine Augen durchbohrten mich.
„Nein.“
Er schielte zum Vorhang.
Erinnerungen! Erinnerungen! Adieu, unser kleiner Tisch, adieu, unsere
Flohkiste, adieu, unser Zimmerchen... Mir kam ein anderer Gedanke,
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