Bambule am Boul Mich
Glücklicherweise war die Tür des Pavillons nicht jüngeren Datums.
Ich bearbeitete sie ein wenig, und schon splitterte das Holz. Natürlich würde
der Magier jetzt merken, daß er Besuch gehabt hatte. Sollte er sich ruhig
aufregen, Anzeige würde er bestimmt nicht erstatten. Höchstens einen oder zwei
zusätzliche Riegel anbringen. Mir war’s scheißegal. Hatte nicht die Absicht,
noch häufig hierher zu kommen.
Endlich war der Weg frei.
Auch hier (wie überall, wo ich
in letzter Zeit auftauchte) roch es eigenartig. War aber bei Van Straeten nicht
weiter erstaunlich. Wenn’s hier nach teuren Seifen geduftet hätte, hätte man
sich schon eher Sorgen machen müssen.
Durch den Vorraum ging ich in
das große Zimmer. Sah noch genauso aus. Über dem schlafenden Jüngling setzte
die nackte Frau ihre unbewegliche Reise durch die Luft fort. Das einzige
Geräusch verursachte die Standuhr.
Ich machte mich an die Arbeit,
schnüffelte hier und da, ohne Ziel, ohne Idee, vertraute auf meinen Riecher. Ich
fand nichts, nicht mal die Fotos von Bugemont. Klar, Van Straeten hatte sein
Archiv woanders, an einem sicheren Ort. Hätt’ ich mir denken können.
Trotzdem suchte ich weiter. Wo ich
schon mal so weit war... Kostete dasselbe. Ich ging ins Schlafzimmer meines
unfreiwilligen Gastgebers.
Das Bett war zerwühlt. Die
Laken sahen ungefähr so aus wie Pferdedecken. Am Kopfende standen nebeneinander
auf einem Brett etwa zehn Bücher, gebunden oder broschiert. Wahrscheinlich die
Lieblingslektüre des Herrn. Ich warf einen Blick auf die Titel, um mir ein Bild
von seinem literarischen Geschmack zu machen. Ein paar Romane, der letzte
Goncourt, ein Fachbuch über Astrologie und, als Zugeständnis an den allgemeinen
Geschmack, Keusch und verblüht, in Leder. Ich nahm das Meisterwerk und
schlug es auf. Unter dem harmlosen Buchdeckel verbarg sich ein pornographisches
Werk erster Güte, reichlich illustriert mit aufgeklebten Fotos. Waren das
vielleicht Beweisstücke, „Zahlungsaufforderungen“? Ich stellte das Buch zurück.
Zwei oder drei weitere Bände derselben Machart verbargen sich hinter ähnlichen
Titeln.
Ein Nähschemel diente als
Nachttisch. Darauf lagen neben einem Aschenbecher Zigaretten und ein kleinformatiges,
aber kostbar ausgestattetes Buch.
Les
Fleurs du Mal.
Armer
Baudelaire! Wo
bist du gelandet? So wirst du immer unverstanden bleiben! Erst von diesen
dummen Untersuchungsrichtern vor einem Jahrhundert, und seitdem von denen, die
meinen, deine schmerzerfüllten Verse berechtigen zu schwungvollem Handel mit
anstößigen Bildern. Ich hab nichts gegen erotische Bilder, im Gegenteil, aber
ich finde, Baudelaires Gedichte genügen sich selbst. Sie brauchen keine
Illustrationen... und schon gar nicht die Fotos, auf die ich in Van Straetens
Exemplar gefaßt war. Die paßten bestimmt genausowenig, eine geschmacklose
Entweihung, wie Dubouts Zeichnungen für François Villon. Solch eine Mißgeburt
ist nämlich tatsächlich im Buchhandel erhältlich.
Ich blätterte in Les Fleurs
du Mal und wurde angenehm überrascht. Eine sehr schöne Ausgabe, ohne
Illustrationen. Als Frontispiz ein Bild des Dichters nach dem Daguerreotyp von
Nadar. Jetzt sah ich, daß das Buch gar nicht Van Straeten gehörte. Das Exlibris
war zum Teil zerrissen, aber ich konnte es schnell wieder zusammenfügen: ein
Ritter in seiner Rüstung beschützte ein nacktes Kind und warf dem Tod auf dem
Thron den Fehdehandschuh zu. Von Straeten hatte das Buch Dr. Leverrier oder
seinem Sohn geklaut. Oder aber... Na gut, das würde sich zeigen. Wie gewonnen,
so zerronnen. Ich steckte das Buch in meine Gesäßtasche.
Als nächstes nahm ich den
Aschenbecher und die Zigaretten von dem Nähschemel und klappte ihn auf. Ein
herrliches Durcheinander: Tablettenröhrchen, ein Füllfederhalter, eine Brille
mit nur einem Glas, ein Knäuel Bindfaden, ein Taschenmesser usw. usw. Nichts
für mich dabei. Ich klappte den Schemel wieder zu... und sofort wieder auf. Die
Brille! Van Straeten setzte sie sich doch wohl nicht auf die Nase, um auf
seiner stinkenden Flohkiste zu lesen. Das Brillengestell war seltsam geformt,
sehr eigenwillig. Die Brille einer Frau. Mir war so, als hätte ich genau
dasselbe Modell auf Yolandes Nase gesehen.
Ich nahm sie in die Hand und
sah sie mir näher an.
Wenn das nicht die Brille dieses
unglücklichen Mädchens war, dann sah sie ihr verdammt ähnlich. Ach was! Ich
täuschte mich nicht. Das sah doch ein Blinder. Ohne jeden Zweifel war das
Yolandes
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