Bambule am Boul Mich
traurigen
Leidensgeschichte war für mich nichts zu holen. Keinerlei Zusammenhang mit Paul
Leverriers Selbstmord und dem mysteriösen Vorfall in dem Hotel der Rue Valette.
Es sei denn...
Die finanzielle Haupt- oder
Nebenquelle war für Yolande also dieses berühmte, wertvolle Buch übers Theater.
Toussaint wußte das. Er wußte auch, daß es damals bei Jacqueline war. Klaute er
das Buch, konnte Yolande nichts mehr machen. Klar?
Er drang bei Jacqueline ein,
durchwühlte das Zimmer, fand aber nichts: das Buch lag unterm Bett. Jacqueline
schien ordentlich zu sein, aber so was kann immer mal Vorkommen. Toussaint
blieb nicht die Zeit, unterm Bett nachzusehen, denn genau in diesem Moment
wankte der verliebte Hampelmann Mauguio ins Zimmer. Dann lief alles so, wie ich
es schon vermutet hatte. Toussaint versteckte sich im Badezimmer, schlug den
ungebetenen Gast nieder, arrangierte einen Sturz und haute ab. So war das.
Hm...
Ich hatte gehofft, daß der
nächtliche Vorfall mit Pauls Selbstmord in Zusammenhang stand und ihn erklären
könnte. Aber wenn Lanouvelle dem alkoholisierten Don Juan eins verpaßt hatte,
löste diese Hoffnung sich in Wohlgefallen auf.
Aber war Lanouvelle tatsächlich
in dem Zimmer gewesen? Er konnte es nicht mehr sagen.
Tja. Und warum nicht, bitte
schön?
Genau! Weil er tot war.
„Ja, von Schüssen
niedergestreckt. Zwei Kugeln in den Bauch, eine in die Brust.
Und warum, verdammt nochmal?
Warum hatte ihn wer getötet?
Ein Rassist?
Jemand, der gerade im Viertel war
und eine Schießübung veranstalten wollte?
Ein eifersüchtiger
Philosophiestudent, der hegelianisch-deterministische Überlegungen angestellt
hatte und dem Schwarzen die Schuld an Yolandes Tod gab?
Tja...
Oder?
Mitten in dem ganzen Blödsinn
kam mir eine Idee.
Der direkte Schuldige an
Yolandes Tod hatte seit dem tragischen Vorfall bestimmt kalte Füße. Um so mehr, da er Toussaint Lanouvelle nicht unbegrenzt
vertraute. Er mußte an dem Schwarzen Anzeichen von Geistesverwirrung
wahrgenommen haben. Diese rührende, aber zweifellos verrückte Idee, die Leiche
bei sich zu behalten! Normalerweise schafft man nach einer solchen Katastrophe
die Leiche fort. Dafür ist die Seine da, so friedlich sie auch aussieht. Das
wollte aber dem Schwarzen nicht in den Schädel. Von einem solchen Spaßvogel war
alles zu befürchten. Ein unheimlich gefährlicher Zeuge. Früher oder später —
eher früher — würde alles ans Licht kommen, und dann würde der Neger auspacken.
Nicht mal, um sich reinzuwaschen, sondern nur, weil er kein Bedürfnis verspürte, irgend jemanden zu schützen. Möglicherweise hatte
Lanouvelle ihn auch bedroht. (Immerhin hatte er dem Schwarzen die Geliebte
getötet!) Da war er ihm zuvorgekommen. Einfältig gedacht und gehandelt, aber
Einfalt ist oft die Haupteigenschaft der Verbrecher. Gegen ihren Willen begehen
sie eine Dummheit nach der andern. Vor allem, wenn sie jung und unerfahren sind
wie der große Unbekannte in diesem Fall. Unerfahren! wie ich schon gesagt habe:
er mußte eher unter Studenten zu finden sein als bei den Hebammen oder
Gynäkologen mit allen ihren Regeln der Kunst.
Ich fluchte. Mein Fieber schoß
in die Höhe. Eben war mir was in den Sinn gekommen, was nichts mit Lanouvelle,
Yolande & Co. zu tun hatte, aber dafür mit Paul Leverrier.
Ich rief im Hôtel Jean an.
Jacqueline war nicht da. Ich schnappte mir das Telefonbuch und suchte die
Nummer der Schauspielschule, wo das Mädchen etwas anderes lernte als die Kunst,
sich vor Publikum auszuziehen. Mademoiselle Carrier sei beschäftigt, bekam ich
zur Antwort, aber in ein paar Minuten... Eine Viertelstunde später hatte ich sie an der Strippe.
„Gibt’s was Neues?“ fragte sie
erwartungsvoll.
„Noch nicht. Wollte Ihnen nur
ein paar indiskrete Fragen stellen... Waren Sie jemals schwanger, seitdem Sie
mit Paul zusammen waren?“
„Nein.“
„Aber so was kann immer mal
Vorkommen. Haben Sie vielleicht mit Paul darüber gesprochen?“
„Natürlich.“
„Wie war Pauls Einstellung
dazu?“
„Seine Einstellung? Versteh ich
nicht.“
„Dann muß ich noch deutlicher
werden.“
Ich wurde deutlicher und
erfuhr, daß Paul die Verantwortung auf sich genommen hätte. Auf keinen Fall
wäre was anderes in Frage gekommen... Abtreibungen lehnte er entschieden ab.
„Entschieden?“
„Ja.“
„Man kann sie aber für sich
selbst ablehnen, jedoch bei anderen akzeptieren.“
„Paul war entschieden dagegen.“
„Unter allen Umständen und
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