Bambule am Boul Mich
meinen Mantel über den Arm, um die Blutflecken zu verbergen. Das Tagebuch
nahm ich mit.
Ich kam ungehindert durchs
Treppenhaus. Draußen auf der Place de la Contrescarpe hatte sich nichts
verändert. Der junge Schwarze hatte das Fensterputzen beendet. Auch die alte
Karre von Toussaint Lanouvelle stand immer noch am selben Platz.
Ich stieg in meinen Dugat und
fuhr in Richtung Heimat.
Also wirklich! Hatte ich den
bösen Blick oder was?
Ich besuche Van Straeten. Ein
Kerl taucht auf und haut ihm was in die Fresse.
Ich besuche Toussaint
Lanouvelle, und der läßt sich abknallen.
Ich würde in Zukunft nicht mehr
wagen, noch irgend jemanden zu besuchen.
Außer meinem Steuerbeamten
vielleicht.
Tagebuch eines
Verliebten
Ich zog mich um, legte den Mantel
zur Seite, um ihn später zur Reinigung zu bringen, schluckte drei
Vitamintabletten und vertiefte mich in das Tagebuch von Toussaint Lanouvelle.
Es war keine leichte Kost. Eine
konventionelle Sprache, sehr verwandt der von Samuel Pepys, aber dennoch nicht
so schwerverständlich. Die Sätze waren gespickt mit Bildern und Anspielungen.
Eine höhere Form von Kauderwelsch. Hier und da stieß ich auf klare Sätze, die
eine gewisse Naivität verrieten. Der erschossene Student hatte sich ganz
richtig beurteilt: „Ich bin Schwarzer. Vielleicht mehr, als ich glaube.“
Die ersten Seiten überflog ich
nur. Sie interessierten mich nicht. Erst als der Name Yolande auftauchte, fing
ich ernsthaft zu lesen an.
Einige Dinge wurden mir klarer.
Vor allem folgendes: daß ich die Tragödie miterlebt hatte, verdankte ich meinem
persönlichen Stern. Ich muß wohl immer alles aus nächster Nähe miterleben, ob
es nun darum geht, eins verpaßt zu kriegen oder in irgendwas hineingezogen zu
werden. Das versaut natürlich meinen Ruf bei der Kripo.
Die besagte Tragödie jedenfalls
hatte nichts mit Paul Leverriers Selbstmord zu tun. Das hoffte ich auch für
Jacqueline. Ist kein gutes Zeichen, wenn sich die Leute um einen herum
gegenseitig umbringen.
Nun zu den anderen Liebenden,
Yolande und Toussaint. Der Schwarze hatte triumphiert und den Tag im Kalender
rot angestrichen, als Yolande sich ihm hingegeben hatte. Und er hatte noch mehr
triumphiert, als sie ihm erzählte, sie sei schwanger. Aber als sie ihm
klarmachte, daß sie unter keinen Umständen den Dingen ihren normalen Lauf
lassen wollte, stürzte der Student in ein riesiges schwarzes Loch. Er hätte so
gerne ein Kind von Yolande gehabt. Nur, Yolande spielte nicht mit.
Ich dachte an das, was
Jacqueline mir von Yolandes Vater erzählt hatte. Streng, hundertprozentiger
Rassist, wäre bestimmt nicht begeistert gewesen, wenn seine Tochter mit
zusätzlichem Gepäck nach Hause gekommen wäre — welcher Vater ist schon davon
begeistert? Und wenn das Baby vermutlich aussehen wird
wie ein café au lait... Nein, Yolande konnte dem Zorn ihres Vaters nicht
die Stirn bieten.
Von da an wurde das Tagebuch
chaotisch, nachlässig geführt, unvollständig. Toussaint Lanouvelle hatte zu
nichts mehr Lust.
Ich versuchte eine Deutung —
auch das, was fortgelassen ist, kann man deuten — und rekonstruierte den
weiteren Verlauf. Der Schwarze hatte trotz allem einiges aufgeschrieben.
Yolande war entschlossen.
Nichts konnte sie davon abbringen. Der Schwarze bat sie auf Knien, aber
vergeblich. Er verweigerte ihr seine Hilfe bei dem verbrecherischen
Unternehmen. Sie brauchte Geld. Er gab ihr keins. Das war seine letzte
Hoffnung, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Kein Geld, keine Schweiz. Aber
daran sollte es nicht scheitern. Yolande wollte alleine zurechtkommen. Sie
besaß da ein wertvolles Buch... Jetzt verstand ich, was Toussaint meinte, als
er von einem „sehr teuren Buch“ gesprochen hatte. In seinen Augen war dieses
Buch der Grund für Yolandes Tod. Wenn sie es nicht besessen hätte, hätte sie’s
auch nicht verkaufen können (das hatte sie schließlich getan). Und dann hätte
sie kein Geld gehabt, um sich irgendeinem Metzger auszuliefern. Denn auch mit
Geld konnte sie nur zu so einem gehen, wenn ich mir das Ergebnis ansah. Ein
ungeschickter Student, kein erfahrener Gynäkologe.
Jedenfalls kam es dann zu
dieser Tragödie. Im letzten Moment hatte Toussaint wohl vor Yolandes Entschluß
kapituliert. Er hatte nicht mir ihr gebrochen. Sonst hätte ich nicht die Leiche
des unglücklichen Mädchens bei ihm gefunden. Bei ihm hatte sich nämlich alles
abgespielt... und er hatte die Leiche bei sich behalten.
Nein, in dieser
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