Bambule am Boul Mich
bei
jedem?“
„Ja.“
„Danke.“
Ich legte auf.
Paul war dagegen, aber sein
Vater vielleicht nicht. Und als Paul das erfuhr, konnte er nicht mehr
weiterleben.
Plötzlich fühlte ich mich
hundemüde. Völlig kaputt. Was wärmte ich da wieder auf? Was hatte ich, verdammt
nochmal, damit zu tun?
Wie durch einen Nebelschleier
sah ich Jacqueline vor mir. Das Mädchen brauchte Gewißheit, so oder so. Ich
wurde bezahlt, um sie ihr zu verschaffen. Schön. Eine offene Aussprache mit Dr.
Leverrier wäre nicht schlecht gewesen. Wir waren beide erwachsene Männer ohne
Vorurteile und mußten uns eigentlich verstehen.
Aber es war schon spät. Ich war
müde. Hatte einen anstrengenden Tag hinter mir, alles in allem.
Ich vertagte das Gespräch auf
morgen.
10
Praktisches
Arbeiten in der Rue Rollin
In der Nacht fegte ein wahrer
Sturm über Paris hinweg. Wind und Regen bemühten sich aus Leibeskräften. Aber
gegen Morgen beruhigten sie sich wieder. Es versprach, ein schöner Tag zu
werden. Was meine asiatische Grippe anging, so hatte ich noch ganz schön hohes
Fieber. Aber was sein muß, muß sein.
Als erstes überflog ich die
Zeitungen. Stumm wie Karpfen schwiegen sie über den Fall Place de la
Contrescarpe. Danach fuhr ich ins Quartier latin.
Die Uhr an der Gare du
Luxembourg zeigte kurz nach zehn. Ein paar Meter weiter wartete eine
Überraschung auf mich.
Ich wollte grade um das
Doppel-Denkmal für Pelletier und Caventou herumfahren, als ich aus dem Flaus,
in dem Dr. Leverrier wohnte, einen alten Bekannten rauskommen sah, einen
bärtigen Rotfuchs: Van Straeten, in einem weiten beigefarbenen Dufflecoat,
beinah sauber, auf dem Kopf einen lustigen grünen Tirolerhut.
Hm... Konnte sein, daß der
Schmutzfink einiges über die inoffiziellen Betätigungen von Leverrier erfahren
hatte — vielleicht von Paul. (Schließlich hatte er ihm die Tür zur Opiumhöhle
geöffnet!) Und jetzt erpreßte er den Gynäkologen.
Langsam fuhr ich die Rue
Henri-Barbusse entlang, ein Auge immer im Rückspiegel. Van Straeten ging auf
der anderen Straßenseite entlang. Ich ließ ihn vorgehen, aber nur so weit, daß
ich den Vorsprung im Radumdrehen aufholen konnte. Er bog links ein, in die Rue
du Val-de-Grâce. Ich beschleunigte und hatte ihn wieder im Visier. Jetzt ging
er nach rechts in die Rue Pierre-Nicole. Ich mußte lachen. Hatte mich in dem
Kerl nicht getäuscht. Der war fähig, bei Schulschluß vor dem Collège Sévigné
herumzulungern. Aber eigentlich war’s noch zu früh. Van Straeten ging
gleichgültig am Collège vorbei, überquerte die Straße und läutete etwas weiter
an der Tür einer Villa. Als ich auf derselben Höhe war, war er schon im Haus
verschwunden. Ich sah nicht mehr, wer ihm geöffnet hatte. Ich fuhr weiter zum
Boulevard de Port-Royal, dann nach rechts, bis ich wieder auf dem Boul’ Mich’
landete.
Aller Wahrscheinlichkeit nach
machte Van Straeten gerade „Hausbesuche“. Heute war Samstag. Vielleicht machte
er diese Runde immer am Wochenende. Würde noch ‘ne Weile dauern. Eine bessere
Gelegenheit für einen Hausbesuch bei ihm konnte ich mir gar nicht wünschen. Vielleicht
war diese Visite nicht mehr so interessant für mich wie noch vor kurzem. Aber
ich kann nun mal bestimmten Verlockungen nicht widerstehen. Zwanghafte Neugier.
Ich nahm Kurs auf die Rue
Rollin.
Diesmal ging ich nicht über die
Treppe der Rue Monge. Ich hatte es eilig. Wer weiß, wieviel Zeit mir zur
Verfügung stand. Ich fuhr also über die Rue du Cardinal-Lemoine und hielt ein
paar Meter vor der Höhle des bärtigen Zauberkünstlers.
Der kleine Hof lag verlassen
da.
Nicht sehr schön, sich so bei
Leuten einzuschleichen, in ihrer Abwesenheit das Türschloß aufzubrechen. Aber
schließlich war Van Straeten ein widerlicher Erpresser, der die Intimsphäre
vieler Pechvögel verletzte und schwungvoll über die Mauer des Privatlebens
sprang. Das wollte ich den sensiblen und zarten Seelen gesagt haben. Ich hatte
schon bei weniger beschissenen Typen keine Samthandschuhe angezogen. Warum
sollte ich dann ausgerechnet bei ihm eine Ausnahme machen?
Im Schutz des gläsernen
Windfangs fummelte ich am Türschloß herum. Ich kam schnell zum Erfolg. Aber
dieser falsche Holländer war ein vorsichtiger Mensch. Hatte einen Riegel
anbringen lassen.
Ich erinnerte mich nicht, ihn
neulich gesehen zu haben. Ich lachte. Nach dem Wutausbruch des jungen de
Bugemont hatte Van Straeten Schiß gekriegt.
Ich beschäftigte mich also mit
dem Riegel.
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