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Bambule am Boul Mich

Bambule am Boul Mich

Titel: Bambule am Boul Mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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gesehen hatte. Der Name Paul Leverrier stand mit Tinte auf
dem Einband. Der Gedichtband hatte also dem Studenten gehört, der selbst kein
eigenes Exlibris besessen und das seines Vaters genommen hatte, weil es
künstlerisch sehr reizvoll war.
    Ich fragte mich, ob der
Geheimnisvolle, der Mauguio niedergeschlagen hatte — für mich war er jetzt gar
nicht mehr geheimnisvoll, ich war überzeugt, daß er Van Straeten hieß — ob also
der nicht mehr Geheimnisvolle dieses Buch in Jacquelines Zimmer gesucht hatte.
(Bei dem Gedanken an Mauguio und seine Beule verspürte ich wieder einen stechenden
Schmerz im Nacken.) Dann hatte er also das Gesuchte gefunden und mitgenommen.
Und dann verdiente dieses Buch meine besonere Aufmerksamkeit.
    Ich mußte lachen. Es war schon
ziemlich lustig. Irgendwie sollte ein Buch die Hauptrolle in diesem Fall spielen.
Natürlich! Im Quartier des Ecoles! Zuerst war ich einem Band über das Theater
hinterhergejagt, und jetzt hielt ich Les Fleurs du Mal in der Hand.
    Ich fing an zu blättern,
überflog ein paar Verse. Das Gedicht Eine Märtyrin, Zeichnung
eines unbekannten Meisters , erregte meine besondere Aufmerksamkeit. Die
zweite Strophe war mit dem Fingernagel unterstrichen worden.
     
    Im engen Zimmer, drin wie
zwischen Treibhauswänden
    Bedrückend schwül die Luft,
    Wo
in kristallnem Sarg sterbende Blumen spenden
    Den
schalen Moderduft...
     
    Ich las weiter. Dieses Gedicht
hatte ich völlig vergessen seit der Zeit, als ich mich mit Baudelaire
beschäftigt hatte. Jetzt entdeckte ich darin merkwürdige Zusammenhänge mit dem,
was um mich herum geschehen war, vor allem heute. Wie ein Bild, das sich an die
Wirklichkeit annähert, sich von hinten anschleicht, verblüffend ähnlich wird.
Das hatte bestimmt etwas zu bedeuten. Oder sollte mein Fieber...
     
    Da läßt auf seidnen Pfühl sein
rotes Blut entfließen
    Ein Leichnam ohne Haupt;
    Das Kissen saugt den Strom voll
Gier wie trockne Wiesen,
    Die durstig und verstaubt.
     
    Und bleichem Spukbild gleich,
das ich voll Grauen wähne
    Dem Schattenreich entrückt,
    Seh’ ich ein düstres Haupt mit
wirrer, dunkler Mähne
    gold- und juwelgeschmückt
     
    Starr auf dem Nachttisch ruhn,
— fast gleicht es der Ranunkel,
    Gedankenlos und leer
    Stiehlt sich ein bleicher
Blick, dämmernd aus fahlem Dunkel,
    Unsicher zu mir her.
     
    Der Rumpf ruht auf dem Bett.
Nackt, sorglos hingegeben
    Enthüllt er ohne Acht
    Den unheilvollen Reiz, den ihm
Natur gegeben,
    Unseliger Schönheit Macht.
     
    Ein rosafarbner Strumpf,
umsäumt von goldnen Spitzen,
    Blieb noch am Fuß zurück,
    Das Strumpfband leuchtet auf
wie eines Auge Blitzen
    Und schießt demant’nen Blick.
     
    Die vorletzte Strophe und die
beiden Verse der Strophe davor waren ebenfalls mit dem Fingernagel
unterstrichen worden:
     
    Hat er, sprich furchtbar Haupt,
auf deine kalten Zähne
    Den letzten Kuß gebrannt?
    Ruh aus, der Welt entrückt,
fern ihrem Spott und Grolle
    Und strengem Richterstab,
    In Frieden ruhe aus, du fremd
Geheimnisvolle
    Im
wunderlichen Grab.
     
    Ich knipste das Licht aus und
schloß die Augen. Nicht um friedlich einzuschlafen wie die rätselhafte,
verstümmelte Leiche, sondern um nachzudenken. Außerdem taten mir die Augen weh.
Ich hätte nicht so angestrengt lesen sollen. Das Brennen wurde dadurch immer
unerträglicher.
    Das Buch lag aufgeschlagen auf
dem Bett, meine Hand auf dem Buch. Wahrscheinlich hatte ich Angst, daß es mir
geklaut würde. Die Hand wanderte über die betreffende Seite, und meine Finger
ertasteten winzige Höcker.
    Ich machte wieder Licht und
nahm das Buch.
    Kein Zweifel!
    Die Nadeleinstiche waren meinen
müden, geschundenen Augen entgangen. Jeder Einstich entsprach einem Buchstaben
aus dem Gedicht.
    Ich stand auf und kühlte mir im
Badezimmer die Augen. Dann sah ich mir die Sache noch mal genauer an. Mit ganz
anderen Augen, wie man so sagt.
    Ich brauchte lange, um die
Botschaft zu entschlüsseln, Buchstabe für Buchstabe. Die Orthographie war den
vorhandenen Wörtern angepaßt, z.B. ein g für ein j, ein für nie usw. Aber schließlich kriegte ich’s raus.
     
    Um viertel nach elf —
dreiunzwanzig Uhr fünfzehn nach offizieller Zeitansage — nahm ich den Hörer und
wählte die Nummer von Colin des Cayeux.
    „Hallo. Mademoiselle Carrier,
bitte. Nestor Burma am Apparat.“
    „Augenblick, Monsieur.“
    „Hallo?“ meldete sich kurz
darauf das Mädchen mit dem Keuschheitsgürtel sehr erregt. „Monsieur Burma?“
    „Ja. Guten Abend.“
    „Was ist

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