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Bambule am Boul Mich

Bambule am Boul Mich

Titel: Bambule am Boul Mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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aber thé à la menthe und das
klebrig-knusprige Naschwerk schmecken genauso wie im Bazar von Tunis oder
Marrakesch. Keine andere Glaubensgemeinschaft zählt nach den Katholiken in
Frankreich so viele Anhänger wie der Islam. Auf die Rufe des Muezzin vom reichverzierten Minarett wird man allerdings (noch) vergeblich warten.
    Zeit endlich, in das Herz des
Quartier Latin, des lateinischen Viertels, zu gelangen. Seinen Namen verdankt
es der Gründerzeit in der Universität im 13 .Jahrhundert, als sich die
Studenten, deren Zahl rasch auf rund 50000 an wuchs, vornehmlich auf lateinisch
verständigten. Der vorherrschenden Modesprache schlossen sich selbst die
Schankwirte und die ebenfalls in stattlicher Zahl herbeieilenden Dirnen an,
wobei Chronisten darauf verweisen, daß es mit der Reinheit der lateinischen
Sprache nicht weit her war. Das damals schon rege gastronomische Treiben hat
dann wohl zur Entstehung des sogenannten Küchenlatein geführt. Die Qualität der verabreichten Nahrungsmittel paßt sich heute dem
überschaubaren Budget der studentischen Kundschaft und den häufig kulinarisch
bescheidenen Ansprüchen der Omnibus-Touristen an. Lediglich die weltweit
gerühmte Tour d’Argent die nun schon über 400 Jahre alt ist, bildet da, neben
einigen wenigen anderen Restaurants der Spitzenklasse, eine Ausnahme. Angeblich
soll dort König Heinrich IV. von angereisten florentinischen Kaufleuten im
Gebrauch der bis dahin am Hofe unbekannten Gabel unterwiesen worden sein. Ein
Abendmahl in der „Tour d’Argent“ führt bei Touristen zuverlässig zur rapiden
Entleerung der mitgeführten Reisekasse, weshalb man sich den Luxus eines
Besuchs tunlichst erst am Vorabend der Abreise gestatten sollte.
Glücklicherweise sind die Speisen weit weniger gesalzen als die Preise.

    Keine Adresse jedenfalls für
Nestor Burma, der sich viel lieber in den weniger aufwendigen Bistros zwischen
der Rue St. Jacques und dem Boulevard St. Michel herumtrieb. In der Rue St.
Séverin zum Beispiel soll sich Paul Leverrier die unglückbringende Waffe
besorgt haben, mit der er sich wenig später erschoß. Die Kirche St. Séverin war
lange Zeit die Kirche der Studenten, die zum Dank für ein bestandenes Examen an
den Wänden des Kirchenhauses Votivtafeln anbringen ließen.
    Ganz anders
Saint-Julien-le-Pauvre, ein paar Schritten weiter. Eine der ältesten und die
vielleicht kleinste Kirche von Paris, in der sich heute die
griechisch-katholische Gemeinde zum Gebet einfindet. Gleich nebenan das „Caveau
des Oubliettes“, ein in tiefe Gewölbe hinunterführendes Nachtlokal aus dem
Mittelalter, das altes Volksliedgut und Balladen zum Besten gibt, in
historischen Kostümen, versteht sich, und zu modernen Preisen. Das Caveau rühmt
sich, eine der letzten noch erhaltenen Guillotinen zu besitzen und präsentiert
dem neugierigen Besucher auch allerlei anderen Schnickschnack, wobei sich
einschlägig interessierte Voyeure auch an bewährten Folterinstrumenten und ein
paar Keuschheitsgürteln erfreuen dürfen.
    Der Verdacht liegt nahe, daß
Léo Malet wieder einmal nach eigenem Gusto Adressen vertauscht hat, denn das
historische Kabarett, in dem die gar nicht so schüchterne Jacqueline ihre
Stimme und andere körperliche Reize feilbot, hätte sich durchaus ins Caveau
hineindenken lassen. Malet ließ seinen Nestor jedoch Kurs auf die Rue des
Grands-Degrés nehmen, Ecke Rue du Haut-Pavé. Dort hat sich heute eine dieser
modernen Wine-Bars eingenistet und dem Pächter ist der „Colin des Cayeux“ ganz
und gar ein Unbekannter. Voltaire hat übrigens in dieser kleinen und engen
Straße als Anwaltsgehilfe gearbeitet.

    Für den routinierten
Paris-Bummelanten ist der Spaziergang durch den seinenahen Teil des Quartier
Latin kein dauerhaftes Vergnügen. Da mag man lieber zur Place Maubert
hinaufwandern, auf der der Dominikaner Albertus Magnus im Mittelalter unter
freiem Himmel seine Vorlesungen hielt und die nach dem Bericht des Erasmus von
Rotterdam einmal das „Königreich der Bettler und Vagabunden“ war. Später war
die Place Maubert eine bevorzugte Stätte von Hinrichtungen. Daß dort im
Kommissariat des 5. Arrondissements das sehenswerte Polizei-Museum
untergebracht wurde, muß als historischer Zufall gewertet werden. Von dort
steigt der Weg an durch die Rue des Carmes (der Karmeliter) in die Rue Valette,
in der eines der vielen Studentenhotels dieses Viertels zu finden war.
    „Im Hôtel Jean schlief alles
tief und fest. Es lag in der Mitte der abschüssigen

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