Bambule am Boul Mich
ließ seine Nachbarn noch
etwas ruhen, stöhnte nur leise und bewegte vorsichtig seine Hand, die ihm ein
Lied sang. Ich nahm den Revolver, der dem Arzt nicht viel genützt hatte, und
hielt ihn in seine Richtung.
„Reden wir wieder vom
Geschäft“, sagte ich.
Das dauerte gute zehn Minuten,
aber dann hatte ich zweihunderttausend Francs — mehr Bares hatte er nicht — , die Jacquelines Karriere erleichtern sollten.
„Ich weiß gar nicht, warum ich
das tu“, knurrte Leverrier.
„Werd’s Ihnen erklären.“
„Alles begann... Nein. Mit Les
Fleurs du Mal hat es nicht angefangen. Die Blumen des Bösen sind nur ein
Teil des ganzen Straußes. Aber ich will damit anfangen. Also: Les Fleurs du
Mal. Eines Tages hat Ihr Sohn etwas Schreckliches darin gelesen. Hat
bestimmt mit Ihnen darüber geredet. Und Sie haben ihm sicher etwas Ähnliches
geantwortet wie ich eben.“
„Das beweist nichts.“
„Trotzdem, es war besser, das
Buch nicht einfach so rumliegen zu lassen. Aber Ihr Sohn hat’s nicht Ihnen
überlassen, sondern selbst behalten. Und weil er den Schock nicht überwinden
konnte, hat er sich umgebracht. Ohne ein Wort des Abschieds, nichts. Schlimmer
als ein Tier. Sogar die Liebe zu Jacqueline konnte ihn nicht von seinem
düsteren Entschluß abbringen. Aber vorher pumpt er sich noch mit Rauschgift
voll — Neugier eines Studenten, vielleicht auch der unbewußte Wunsch, einen
Selbstmordersatz an die Stelle des wirklichen Selbstmords zu setzen. Und Van
Straeten verschafft ihm Zugang zu der Opiumhöhle in der Rue Broca. Ich nehme
an, unter der Wirkung des Rauschgifts fängt Paul an zu quatschen. Was er sagt,
stößt nicht auf taube Ohren. Als er dann weggeht, um sich das Leben zu nehmen,
überläßt er dem falschen Magier das Exemplar von Les Fleurs du Mal. Van
Straeten hat ein halbes Geheimnis im Ohr. Er wird versuchen, hinter das ganze
Geheimnis zu kommen und es zu Geld zu machen. Ihr Sohn bringt sich um. Ein
Motiv dafür gibt es auf den ersten Blick nicht. Aber Sie, Sie wissen ganz genau,
warum er’s getan hat. Warum sind Sie so lieb zu Jacqueline? Weil Sie meinen,
daß sie von Paul das Buch geerbt hat. Sie wollen es haben. Dann hören Sie von
Jacqueline, daß sie einen Detektiv engagieren will. Ein Berufsschnüffler? Wie
unangenehm. Sie verlieren den Kopf. Erstaunlich, wie Menschen, die bei
tatsächlichen Gefahren bemerkenswert kaltblütig bleiben, bei Kinderkram
plötzlich durchdrehen. Als ich also auf der Bildfläche erscheine, holen Sie zum
letzten entscheidenden Schlag aus. Günstiger wär’s gewesen, Sie hätten sich
ganz ruhig verhalten. Aber was geschehen ist, ist geschehen. Jacqueline hat vor
ein paar Tagen ihren Zimmerschlüssel verloren. Verloren? Von wegen! Sie haben
ihn geklaut und sich davon einen Nachschlüssel anfertigen lassen. So konnten
Sie in ihr Zimmer, wann Sie wollten. Und Sie wollten letzten Dienstag. Sie
dringen bei Jacqueline ein und durchwühlen ihr Zimmer, schmeißen sogar ein Buch
übers Theater vom Regal. Das fand sich später unterm Bett wieder. Aber dann
kommt der Witzbold Mauguio. Sie verstecken sich im Badezimmer. Vielleicht
bleibt er ja nicht lange. Denkste! Er läßt sich häuslich nieder. Die Zeit
verrinnt. Wie sollen Sie Jacqueline Ihre Anwesenheit erklären, wenn sie nach
Hause kommt? Sie müssen weg hier. Also, zack !, ein Schlag
auf Mauguios Hinterkopf mit einem stumpfen Gegenstand, den Sie im Badezimmer
finden. Und weil der junge Mann sturzbesoffen ist, täuschen Sie einen Sturz
vor. Nichts leichter als das. Etwas Blut auf die Kante
des Nachttisches, und es war ein Unfall! Hören Sie mir zu?“
Er sah mich an, sagte kein
Wort. Aber er hörte mir zu. Das ja!
Ich nahm den Faden wieder auf:
„Am nächsten Tag ruft
Jacqueline Sie an. Sie ist ein liebes Mädchen. Mauguio tut ihr leid, obwohl er
ihr nicht sympathisch ist. Sie kommen sofort. Erstens können Sie sich jetzt
davon überzeugen, wie schwer Mauguios Verletzung ist. Sie wollen natürlich
nicht, daß er stirbt. Zweitens können Sie erfahren, ob wir an einen Überfall
glauben oder Ihre Unfallversion geschluckt haben. In beiderlei Hinsicht
beruhigt, haben Sie außerdem noch das Glück-wahrscheinlich dachten Sie das
damals... obwohl ich nicht glaube, daß das ein Glück für Sie war — , das Glück also, mit mir zusammenzutreffen. Wollen mich
mit Schmus besoffen machen, eine Mischung aus Wahrheit, Lüge, Komödie und
Offenheit. Ich mache Ihnen weis, daß auch ich nicht an einen Überfall auf
Mauguio glaube.
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