Banalverkehr - Roman
hier raus.
»Ich ruf mal kurz bei Lene an«, sage ich und stelle den Teller beiseite.
»Soll ich auf Pause machen, damit du nichts verpasst?«
»Nee, schon gut. Erzähl mir einfach später, wie es ausgeht.«
»Bist du sicher?«, höre ich Lutz noch fragen, bevor ich mit dem Telefon in der Hand in die Küche gehe und die Tür hinter mir zumache. Ich muss dringend mit Lene sprechen. Pater John-Jeff-Bob muss mir bitte schleunigst auch mal erklären, warum es nichts gibt, was man sich mehr wünschen könnte als einen Lutz und sein Brokkoligratin.
»Hallo?«
»Lene, ich bin’s. Gut, dass du endlich mal rangehst! Ich hab es schon hundertmal versucht.« Und das ist nicht mal übertrieben. Also fast nicht. Seit dem Krapfentelefonat vom dritten März und heute, dem zwölften April, habe ich genau 69 Mal Lenes Telefonnummer gewählt. »Ach du, ich bin momentan ziemlich beschäftigt. Und du weißt ja, dass ich schwanger bin.« Gut, dass sie es noch mal erwähnt, das hätte ich sonst glatt vergessen.
»Ja, ich erinnere mich. Hör zu, Lene, ich brauch deine Hilfe. Ich hab doch jetzt auch einen Freund und …«
»Ja, hab ich in deiner SMS gelesen. Glückwunsch!«
»Ja, aber das Problem ist …«
»Puppe, sorry, du, ich hab leider grad ganz wenig Zeit. Sag mal, können wir wann anders telefonieren?« Ich zögere. Warum kann sie mir nicht wenigstens empfehlen, einen Fisch auf den Kofferraumdeckel zu kleben? »Lene, es wäre echt …«
»Super. Mach’s gut, Puppe«, sagt sie und legt auf.
»Klar«, sage ich, als es in der Leitung schon tutet.
Zehn Jahre sollen einfach so vorbei sein. Es soll egal sein, für welchen Film ich mich entscheide, denn Lene wird in keinem mehr eine Rolle spielen. Mein Herz tut weh. Es kann an Lene liegen oder daran, dass ich Kettenraucherin bin und demnächst mit einem Schlaganfall zu rechnen habe, auf jeden Fall fühle ich mich irgendwie krank. Und furchtbar ernüchtert. Weil es sinnlos ist. Sinnlos, ihr hinterherzurennen. Sinnlos, mir einzureden, ich könnte glücklich werden mit Lutz und seinem Brokkoligratin. Das bin ich einfach nicht. Ich will lieber wieder Sushi essen. Mit oder ohne Lene.
Als ich zurück ins Wohnzimmer komme, ist Lutz auf der Couch eingeschlafen. Der zukünftige Weltherrscher hängt halb im Wasser, halb auf einem Stück Treibgut. Die Rothaarige heult. Ich gehe ins Bad und hole mir Lutz’ Zahnbürste.
Der Plan: Schluss machen. Gleich am nächsten Morgen, vor der Arbeit. Dann haben wir es hinter uns.
Problem: Ich verschlafe. Lutz ist schon weg.
Neuer Plan: Schluss machen. Gleich nach Feierabend. Dann haben wir es also noch vor uns.
Und das raubt mir die Motivation, überhaupt zur Arbeit zu gehen. Allein der Gedanke daran, dass Lutz mir nichts ahnend während seiner Brötchentour zuzwinkert. Also rufe ich Otto an, beschreibe die Intensität meiner Menstruationskrämpfe in den buntesten Farben (wobei Rot hier natürlich die tragende Rolle spielt) und bekomme sofort frei. Zum Frühstück gibt es Sushimenü »Nummel zweihudeltdleizehn mit extla Sojasoße, dauelt halbe Stund, dankehön«. Ich überlege, ob es okay wäre, Lutz nochmal die Laken wechseln zu lassen, bevor ich Schluss mache, weil ich mit Sojasoße gekleckert habe. Ich denke schon. Und vielleicht sollte er heute Abend auch nochmal für uns kochen. Nicht etwa meinetwegen oder weil mein Kühlschrank leer wäre, sondern einzig seinetwegen und weil eine Trennung auf leeren Magen bestimmt nicht gesund ist. Ich bin ja kein Arsch. Lutz hat verdient, dass es ihm gut geht.
Nach dem Frühstück ist mir langweilig, und ich überlege, was ich mit meinem freien Tag anfangen könnte. Ein Frisörbesuch wäre eine gute Idee und Trennungssträhnchen durchaus angebracht. So bekommt Lutz wenigstens noch was fürs Auge, bevor ich ihn vor die Tür setze. Und dann rufe ich gleich noch beim Frauenarzt an. Ein Routinecheck steht sowieso an, und der lässt sich heute auch noch prima reinschieben. Reinschieben , hahaha, reinschieben und Frauenarzt ! Und danach könnte ich es sogar noch in die Stadt schaffen, um ein Trennungsoutfit zu shoppen. Natürlich auch für Lutz. Er soll mich schließlich in guter Erinnerung behalten. Auf einen Schlag bin ich wieder ganz die Alte – das muss die Macht des Sushi sein – und erstaunlich gut gelaunt in Anbetracht der Tatsache, dass ich mit Lene den Großteil meines ganzen, bisherigen Seins verloren habe. Was soll’s. Immerhin ist es nur Lene. Und nicht mein Bein. Es wäre wirklich schlimmer,
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