Banalverkehr - Roman
Aber das muss ich auch gar nicht, denn die magischen Worte sind bereits gefallen.
»Können wir auch …, also … vielleicht, wenn das okay ist, irgendwohin gehen, wo es Tortellini mit Sahnesoße gibt?«
Franzi isst für ihr Leben gern, aber sie hat das Glück, dass man es ihr nicht ansieht, höchstens könnte man über sie sagen, sie sei ein wenig drall – und das auf eine fast beneidenswerte Art. Rosige, irgendwie knautschige Wangen drücken ihren kleinen, zarten Mund in eine Herzform, ihr ganzes Gesicht strahlt Milde aus und ist von Natur aus hübsch, ohne dass sie es jeden Tag bis zur Unkenntlichkeit bemalen müsste. Die Extrakalorien setzen sich an den richtigen Stellen ab, sie hat Brüste und einen Hintern, der rund ist und den sie eigentlich nur mal ein bisschen eleganter bewegen müsste, während sie geht, und schon würde die halbe Stadt dafür sorgen wollen, dass sie ihren Exfreund vergisst.
»Na klar«, sage ich und Franzi ist kurz davor zu hyperventilieren, und hätte sie ein Schwänzchen, würde sie jetzt wahrscheinlich damit wedeln.
»Jippieh!«, hechelt sie stattdessen und klatscht in die Hände.
Um kurz nach zwölf werde ich Zeugin eines sexuellen Akts, der einfach unbeschreiblich ist und gleichzeitig die Frage beantwortet, die ich mir seit drei Jahren stelle: Wie hält Franzi es ohne Sex aus? Die Antwort kommt auf einem tiefen Teller und besteht großenteils aus Kohlenhydraten und einem halben Liter Sahne. Jeder einzelne Bissen bringt sie zum Lächeln, entlockt ihr ein wohliges »Hmmmm« und macht für diesen Moment sogar die heiligen Schokoeier vergessen. Entgeistert schaue ich zu und bin halb fasziniert, halb angeekelt, als sie am Ende auch noch die Soßenreste vom Teller leckt. Multipler Tortellini-Orgasmus. Hätte man mir mal früher gesagt, dass man so einfach an ein paar Glücksmomente kommen kann, vielleicht wäre ich dann heute schon kugelrund. Aber, halt! Bald bin ich ja auch ganz ohne Tortellini kugelrund. Haha.
»Fränzchen, ich muss dir was sagen«, fange ich gerade an, als die Bedienung uns stört. »Noch einen Espresso hinterher?«
»Ja bitte. Und einen Wodka dazu. Pur«, sage ich schnell, bevor Franzi etwas anderes bestellen kann. Sie beugt sich über den Tisch und flüstert: »Seit wann trinkst du denn schon am Mittag?«
»Der ist für dich. Ich bin schwanger. Von Lutz.«
Franzi reißt alles auf, was ihr kleines, rundes Gesicht hergibt. Mit großen Augen und offenem Mund sieht sie mich an und ruft »Nä!«
Das ist übrigens auch mein Gedanke, als ich am Abend mit Lutz auf der Couch sitze und er einen Ring aus seiner Hosentasche zieht. »Den habe ich als Achtjähriger auf einem Friedhof ausgebuddelt. Vielleicht möchtest du ihn ja tragen.«
Friedhof?
Vor meinem inneren Auge baut sich das Bild auf, wie Lutz als kleiner Junge, natürlich mit dem obligatorischen Rucksack auf dem Buckel, auf einem Grab hockt und Festungsmauern aus Graberde errichtet, während am Horizont die Sonne untergeht. Fast friedlich ist diese Vision. Ein Kind, wie es so lange in der schwarzen Erde herumgräbt, bis es auf einen Widerstand stößt. Ein Sarg. Es gräbt weiter und weiter, bis der Deckel freigelegt ist. Als Kind unserer Zeit weiß es natürlich auch, wie man so einen Sarg knacken kann. Und schließlich raubt es der darin liegenden alten Frau den Ring, den ihr einst ihr Angetrauter schenkte. Und den dieser wahrscheinlich auch schon irgendwann mal irgendwo ausgebuddelt hat. So zumindest sieht er aus, der Leichenring. Alt und angelaufen und mit einer Gravur »Franz und Mathilda 02.05.1913«. Dann rutsche ich in die nächste Szene und sehe Franz und Mathilda auf ihrem altmodischen Sofa, wie er ihr den Ring an den Finger steckt. Mathilda ist schwanger, und Franz muss und will sie heiraten.
»Friedhof?«, höre ich mich brüllen. Es ist wie ein Paukenschlag, der die wochenlange Apathie und die Stille in meinem Kopf zerreißt. Meine Gedanken sind jetzt kleine, wild gewordene Karnickel, die im Zickzack über eine grüne Wiese hoppeln. Ich bin schwanger! Das geht nicht! Unmöglich! Ich habe doch gerade erst mein Abi gemacht! Vor knapp zwölf Jahren. In der Grundschule haben wir Aufkleber getauscht. Ich war die Königin der Bärchensticker. Mein Album war schwarz glänzend mit pinken Ballettschuhen drauf. Als ich in der fünften Klasse war, gab es bei McDonalds Knotenbeißer für die Schnürsenkel. Ich hab den Hamburgerklau bekommen, einen hässlichen Typen mit Zorrohut und Sado-Maso-Maske, dabei
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