Banalverkehr - Roman
scheint das Dilemma zu wittern. »Normaler Krapfen mit Puderzucker, normaler mit normalem Zucker, Vanillecremekrapfen, Karamellkrapfen, Apfel-Zimt-Krapfen, Nougatkrapfen, Krapfen mit Himbeermarmelade, Aprikosenmarmelade und …«, er nimmt den letzten Krapfen in die Hand und schaut ihn sich von allen Seiten an. »Was hier drin ist, hab ich vergessen.«
»Den nehme ich«, sage ich todesmutig. Ich greife danach und beiße rein. »Eierlikör«, stelle ich fest und halte das erneut für ein Zeichen. Immerhin wollte ich es ja mit Schönsaufen versuchen. Während ich esse, packt Lutz seinen Rucksack aus: Rohrzange, Schraubenzieher und ein Pümpel.
»Also, was ist es diesmal?«
Ach ja, richtig. Ich lege den Krapfen zurück zu seinen Kumpels auf den Tisch, gehe auf Lutz zu und küsse ihn. Vor Schreck lässt er den Pümpel fallen.
In der Nacht wache ich auf, als Lutz eine schlaftrunkene Kuschelattacke versucht. Beengtes Gefühl, nicht gut. Ich winde mich aus seinem Griff und setze mich auf. Mein Kopf brummt – Nachwehen der letzten Nacht – und meine Mumu brennt, als hätte ich einen Pilz, ich tippe auf kalten Entzug. Außerdem ist mir schlecht, wahrscheinlich vom Eierlikörkrapfen. Ich rülpse einmal kräftig, woraufhin der Rülps in der Stille sekundenlang durch das Zimmer hallt. Ich schaue zu Lutz, aber er schläft ruhig weiter. Der Mond scheint durchs Fenster auf seine blasse Haut. Normalerweise hat er rote Punkte im Gesicht, weil er eben so schnell nervös wird, aber da es im Schlaf keinen Grund zur Nervosität gibt, ist er gleichmäßig blass. Er hat ungefähr fünf Brusthaare. Seine Arme sind schmächtig, genau wie der Rest seines Körpers.
Mir wird übel.
Wie angestochen springe ich aus dem Bett und falle dabei fast auf ihn.
»Was ist los?«, fragt er verschlafen.
»Nix«, rufe ich, während ich ins Bad renne, um zu kotzen. Es kommt alles raus: der Krapfen, die Pizza vom Nachmittag, die ganze letzte Nacht, die Scham und das Gefühl, mich tatsächlich in Lutz verlieben zu können. Übrig ist ein Nachgeschmack von sauer zersetzter Salami und Schuld. Ich habe Lutz missbraucht, und ich befürchte, das war nicht okay.
»Was ist denn mit Lutz los?«, fragt Franzi am nächsten Tag, nachdem Lutz mir auf seiner Brötchenrunde zugezwinkert hat.
»Geschlechtsverkehr«, sage ich und bemühe mich, nach Mutmaßung zu klingen, weil ich nicht weiß, wie sie reagieren würde, wenn sie wüsste, dass Lutz und ich …
»Iiiih …«
» Iiiih, Lutz oder Iiiih, Lutz und Geschlechtsverkehr ? «
»Iiiih, Lutz und Geschlechtsverkehr.«
Von da an stand fest, dass ich es nicht offiziell machen werde, trotzdem bin ich nun seit fünf Wochen mit Lutz zusammen. Es ist April, und der Frühling drängt sich in die kühle Stadt, genau wie Lutz sich in mein Leben drängt. Ich will keine Beziehung mit ihm, aber ich muss eine haben, weil, weil, weil man eben Krapfen essen muss statt Sushi, Herrgott. Und weil Lene … Also natürlich nicht wegen Lene. Haha. Nein. Aber weil sie vielleicht Recht hat. Weil das einfach eine natürliche Entwicklung ist, die man durchmacht. Man lebt wild und irgendwann gemütlich . Weil das womöglich sogar eine eine Art Naturgesetz ist. Genau wie graue Haare oder Falten kriegen. Außerdem wüsste ich nicht, wie ich mit Lutz Schluss machen sollte, ohne ihm das Herz zu brechen. Außerdem … Es ist ja auch gar nicht so schlimm. Er gibt sich wirklich Mühe, bekocht mich nach Feierabend, putzt meine Wohnung und lackiert mir sogar die Fußnägel, damit ich mich nicht bücken muss. Ich habe zwar keine Rückenprobleme, aber das liegt hundertprozentig daran, dass Lutz sich für mich bückt. Ja. Liest man doch regelmäßig in der Presse, wie es zu den schlimmsten Bandscheibenvorfällen kommt. Beim Fußnägellackieren. Ja, wirklich. Um ehrlich zu sein: Es ist absolut gar nicht … toll.
Menü. Klick. Nachrichten. Klick. Verfassen. Klick. SMS -Nachricht. Klick.
»Hi Lene! Hab jetzt auch einen Freund! Und muss echt sagen: dieses Pärchending: beide Daumen hoch!«
Ich hasse dieses Pärchending . Jeden Tag, jede Nacht: Lutz. Lutz, wohin man guckt. Immer da.
»Kannst dich ja mal wieder melden!«
Du blöde Sau. Über einen Monat lang hab ich nichts von dir gehört.
» LG , Puppe.«
Du fehlst mir. Du fehlst mir so sehr.
Weiter. Klick. Kontaktsuche. Klick. Lene Handy. Klick. Senden. Klick. Nachricht gesendet.
Ja, ich vermisse sie. Und wie ich sie vermisse. Ihr weiches Gesicht mit den großen, mandelförmigen Augen, um
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